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Regulation Around the World: Open Finance
In this issue of Regulation Around the World we look at how regulators are developing their proposals for Open Finance.
Global | Publication | March 2020
Rund 4,8 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung in Deutschland verdient nach Aussagen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) ihr Geld mit Minijobs im Internet. Die sog. „Crowdworker“ übernehmen dabei Arbeitsaufgaben von Unternehmen, die mittels eines offenen Aufrufs über Apps oder auf allgemeinen oder spezialisierten Netzwerkplattformen angeboten werden. Diese Aufgaben müssen regelmäßig innerhalb kürzester Zeit nach den bestehenden Vorgaben erledigt werden.
Nach einer Entscheidung des LAG München sind Crowdworker nicht als Arbeitnehmer zu qualifizieren. Ein Arbeitsvertrag würde nach den gesetzlichen Regelungen voraussetzen, dass ein Mitarbeiter zur Leistung verpflichtet ist: weisungsgebunden, fremdbestimmt und in persönlicher Abhängigkeit. Dies zeige sich im Allgemeinen darin, dass er Arbeitsanweisungen zeitlicher, örtlicher und inhaltlicher Art beachten müsse und in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingebunden sei. Vorliegend behauptete ein Crowdworker das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit einem Plattformbetreiber, nachdem dieser die Zusammenarbeit beendet hatte. Zu seinen Aufgaben gehörte unter anderem das Fotografieren von Tankstellen und Märkten und die Weiterleitung der Bilder zur Überprüfung der Warenpräsentation. Die Beklagte entgegnete, er sei selbständig und habe die Aufträge als Selbständiger übernommen.
Das Gericht entschied nun, dass mit der Vereinbarung zwischen Plattformbetreiber und dem Kläger gerade kein Arbeitsvertrag zustande gekommen ist. Der Crowdworker sei nicht verpflichtet gewesen, Leistungen zu erbringen bzw. die angebotenen Aufträge anzunehmen. Es handele sich bei der Vereinbarung lediglich um eine Rahmenvereinbarung. Die Schutzvorschriften für Arbeitnehmer kämen nach bestehender Gesetzeslage nicht in Betracht, auch wenn der Kläger einen erheblichen Teil seines Lebensunterhalts durch die Aufträge verdiene und damit unter Druck sei, auch in Zukunft Aufträge anzunehmen.
Die spannende Frage, ob durch das Anklicken eines Auftrages möglicherweise ein befristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist, musste das Gericht nicht entscheiden. Daher bleibt abzuwarten, ob eine mögliche Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) weitere Klarheit bringt.
(LAG München, 04.12.2019 - 8 Sa 146/19)
Hinsichtlich der technischen Umsetzung von Arbeitszeiterfassungssystemen hat das ArbG Berlin entschieden, dass eine Arbeitszeiterfassung durch ein Zeiterfassungssystem mittels Fingerprint ohne Einwilligung der betroffenen Person unzulässig ist.
In diesem Fall hatte sich ein Mitarbeiter geweigert, sich mittels Fingerprint im Zeiterfassungssystem anzumelden und die Zeiterfassung stattdessen händisch fortgeführt. Seine Klage auf Entfernung einer Abmahnung wegen Nichtbenutzung des Zeiterfassungssystems war erfolgreich. Nach Auffassung des ArbG Berlin handelt es sich um biometrische Daten im Sinne vonArt. 9 Abs. 1 DSGVO und um besondere Kategorien personenbezogener Daten nach § 26 Abs. 3 BDSG. Eine Verarbeitung dieser Daten könne die Privatsphäre des Mitarbeiters und damit dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung in besonderen Maße verletzen. Deshalb sei eine Verarbeitung derartiger Daten grundsätzlich verboten und komme nur im Falle des Eingreifens von Erlaubnistatbeständen, wie z.B. § 26 Abs. 1 BDSG in Betracht. Hiernach ist eine Datenverarbeitung erlaubt, sofern sie erforderlich ist. Das ArbG Berlin hat entschieden, dass die Arbeitszeiterfassung mittels Fingerprint einen erheblichen Eingriff darstellt und vorliegend nicht erforderlich ist, da ein Missbrauch des bisherigen händischen Arbeitszeiterfassungssystems durch z.B. das Mitstempeln von Arbeitszeiten abwesender Mitarbeiter durch Kollegen lediglich vereinzelt zu befürchten ist und sich die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer rechtstreu verhält. Nur im Falle des Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für einen Missbrauch des händischen Arbeitserfassungssystems könne die Erforderlichkeit einer Arbeitszeiterfassung mittels Fingerprint angenommen werden.
(ArbG Berlin, 16.10.2019 - 29 Ca 5451/19)
Gemäß der gesetzlichen Regelung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags nur dann zulässig, wenn nicht bereits mit demselben Arbeitgeber zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist diese Regelung in besonderen Fällen allerdings verfassungskonform auszulegen, wobei drei Fallgruppen zu unterscheiden seien: Die Vorbeschäftigung liegt sehr lange zurück, die Vorbeschäftigung war ganz anders geartet und die Vorbeschäftigung war von sehr kurzer Dauer. Damit ist die Rechtsprechung des siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts seit dem Jahr 2011 verfassungswidrig, die eine sachgrundlose Befristung immer dann für zulässig erklärte, wenn die Vorbeschäftigung bereits drei Jahre zurücklag.
In der vorliegenden Entscheidung gelangt das BAG erstmals zu dem Ergebnis, dass eine Vorbeschäftigung tatsächlich sehr lange zurückliegt. Die Klägerin war bei der Beklagten in der Zeit vom 22. Oktober 1991 bis zum 30. November 1992 als Hilfsbearbeiterin für Kindergeld beschäftigt. Die Beklagte stellte die Klägerin erneut mit Wirkung zum 15. Oktober 2014 als Telefonserviceberaterin im Servicecenter ein. Das Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum 30. Juni 2015 sachgrundlos befristet und wurde später bis zum 30. Juni 2016 verlängert. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung zum Ablauf des 30. Juni 2016 geendet hat. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG hat der Klage stattgegeben.
Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Zwar sei die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines Sachgrundes nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Nach der Entscheidung des BVerfG vom 6. Juni 2018 sind die Fachgerichte allerdings verpflichtet, den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG durch verfassungskonforme Auslegung einzuschränken, wenn das Verbot der sachgrundlosen Befristung im konkreten Fall unzumutbar ist. Dies sei der Fall, wenn die Gefahr einer Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer nicht bestehe und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich sei, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Unzumutbar sei das Verbot der sachgrundlosen Befristung insbesondere, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliege. Das sei bei der 22 Jahre zurückliegenden Vorbeschäftigung der Fall. Auch lägen keine besonderen Umstände vor, die dennoch die Anwendung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG gebieten.
(BAG, 21.08.2019 - 7 AZR 452/17)
Tipp für die Praxis
Der als schwerbehindert anerkannte Kläger war zuletzt als Bauleiter für die Beklagte tätig und über einen längeren Zeitraum wiederholt erkrankt. Das Ergebnis der betriebsärztlichen Untersuchung befürwortete eine stufenweise Wiedereingliederung mit erheblichen Einschränkungen, wobei der vom behandelnden Facharzt aufgestellte Wiedereingliederungsplan keine Angaben zu etwaigen Einschränkungen enthielt. Die Beklagte lehnte den Antrag auf stufenweise Wiedereingliederung unter Hinweis auf die betriebsärztliche Beurteilung und die dort genannten Einschränkungen ab. Einem späteren Antrag auf stufenweise Wiedereingliederung stimmte die Beklagte zu. Für die Zeit der unterbliebenen Beschäftigung begehrt der Kläger Schadensersatz in Höhe des Betrags, der ihm durch die aus seiner Sicht verspätete Wiedereingliederung entgangen ist. Das ArbG wies die Klage ab, das LAG gab der Berufung im Wesentlichen statt. Dagegen wendete sich die Beklagte mit ihrer erfolgreichen Revision.
Grundsätzlich besteht nach Ansicht des BAG kein Anspruch auf Mitwirkung des Arbeitgebers an einer stufenweisen Wiedereingliederung und entsprechenden Beschäftigung des Arbeitnehmers in das Erwerbsleben. Ausnahmsweise könne bei schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Arbeitnehmer etwas anderes gelten und eine Verletzung der Mitwirkungspflicht Schadensersatzansprüche begründen. Voraussetzung sei allerdings, dass der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorlege, aus der sich Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, mögliche Beschäftigungsbeschränkungen, Umfang der Arbeitszeit sowie Dauer der Maßnahme ergäben. Zudem müsse die Bescheinigung eine Prognose hinsichtlich der „voraussichtlichen“ Wiederaufnahme der Tätigkeit enthalten.
Obwohl das BAG den vom Kläger vorgelegten Wiedereingliederungsplan als ordnungsgemäße ärztliche Bescheinigung anerkannte, durfte die Beklagte den Wiedereingliederungsantrag ablehnen. Aufgrund der im Rahmen der betriebsärztlichen Beurteilung aufgezählten Einschränkungen habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass der Gesundheitszustand des Klägers eine stufenweise Wiedereingliederung in seinen bisherigen Tätigkeitsbereich nicht zuließe und dem Kläger hieraus nachteilige gesundheitliche Folgen erwachsen würden.
(BAG, 16.05.2019 – 8 AZR 530/17)
Tipp für die Praxis
Der Kläger, ein Kfz-Sachverständiger mit schulpflichtigem Kind, beantragte die Reduzierung seiner regelmäßigen jährlichen Arbeitszeit um 1/12. Die arbeitsfreien Tage sollten dabei in den Kalendermonat August gelegt werden. Die Beklagte lehnte das Begehren des Klägers betriebsbedingt ab. Insbesondere sei der Monat August der umsatzstärkste Monat im Jahr, der Arbeitsausfall sei in diesem Zeitraum auch aufgrund von Urlaubswünschen anderer Mitarbeiter nicht kompensierbar, weshalb regelmäßig auch nur maximal 10 Urlaubstage gewährt würden.
Die hiergegen gerichtete Klage des Arbeitnehmers blieb erfolglos, da das Gericht die von der Beklagten vorgebrachten und belegten betrieblichen Gründe anerkannte. Nicht entscheidungsrelevant sei, wie viele andere Mitarbeiter schulpflichtige Kinder oder eventuell andere Gründe haben, um im August Urlaub nehmen zu wollen.
Darüber hinaus stelle der Teilzeitwunsch des Klägers eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne des § 242 BGB dar. Die gewünschte Verringerung der Arbeitszeit sowie der Wunsch, den gesamten August arbeitsfrei zu haben, verfolge den Zweck, die arbeitgeberseitige Beschränkung der möglichen Urlaubstage im August zu unterlaufen und für die folgenden Jahre die Urlaubsnahme zu sichern. Der Kläger begehre damit eine Verteilung seiner Arbeitszeit, auf die er ohne die Arbeitszeitreduzierung keinen Anspruch hätte.
(LAG Nürnberg, 27.08.2019 - 6 Sa 110/19)
Kläger war ein Verein, dem unter anderem die Ärztekammer Hamburg und Schleswig-Holstein angehören. Die Beklagte bot die Erteilung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch einen mit ihr zusammenarbeitenden Arzt an und warb damit. Das LAG Hamburg hat entschieden, dass eine solche Werbung unlauter ist und den Beklagten zur Unterlassung verpflichtet.
Das Angebot eines Internet-Dienstleisters, den Gesundheitszustand eines Arbeitnehmers durch einen Fragenkatalog und anschließende Auswertung durch approbierte Ärzte zu ermitteln und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen am selben Abend per WhatsApp zu verschicken, verstößt nach Ansicht des LAG Hamburg gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht. Gemäß § 25 der Musterberufsordnung für Ärzte sowie § 25 der Hamburger Berufsordnung für Ärzte müssen Ärzte bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse mit der notwendigen Sorgfalt verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung aussprechen. Die Schwere der Erkrankung könne nicht durch Rücksprache mit dem Patienten per Telefon oder Video-Chat, sondern nur durch unmittelbaren persönlichen Eindruck zuverlässig eingeschätzt werden. Damit unvereinbar sei es, über den Einzelfall hinausgehend Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch nur bei leichteren Erkrankungen wie Erkältungen regelhaft ohne persönlichen Kontakt zu erteilen. Daran ändere es auch nichts, dass herkömmliche, mit persönlichem Kontakt zum Patienten ausgestellte Krankschreibungen in einer mehr oder minder großen Zahl von Fällen nicht der ärztlichen Sorgfalt entsprechen. Schließlich sei die Krankschreibung auch Grundlage für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
(LG Hamburg, 03.09.2019 - 406 HK O 56/19)
Die Klägerin, eine Altenpflegerin aus Niedersachsen, war im Jahr 2017 zunächst gut drei Monate wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig. Noch am Schlusstag der Arbeitsunfähigkeit bescheinigte ihr eine andere Ärztin wegen einer für den nächsten Tag geplanten Operation als “Erstbescheinigung” eine weitere Arbeitsunfähigkeit, welche durch Folgebescheinigungen auf circa sechs Wochen verlängert wurde. In dieser Zeit erhielt die Klägerin weder Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber noch Krankengeld von ihrer Krankenkasse. Mit ihrer Klage verlangte sie rund 3.400 Euro brutto nebst Zinsen von ihrem Arbeitgeber. Sie behauptete, wegen eines neuen Leidens arbeitsunfähig gewesen zu sein, die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung sei bereits beendet gewesen. Ihr Arbeitgeber sah das anders und vertrat die Auffassung, dass von einem einheitlichen Verhinderungsfall auszugehen sei.
Der Senat gab dem Arbeitgeber Recht. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich der folgende Grundsatz: „Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und schließt sich daran in engem zeitlichen Zusammenhang eine im Wege der ‘Erstbescheinigung’ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit an, hat der Arbeitnehmer im Streitfall darzulegen und zu beweisen, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren Arbeitsverhinderung geendet hatte.” Die Klägerin habe dies nicht beweisen können.
(BAG, 11.12.2019 - 5 AZR 505/18)
Der Arbeitgeber wollte dem langjährig beschäftigen Kläger, der in Frankreich wohnt und im Werk des Klägers im deutschen Ort R. beschäftigt war, mit Schreiben vom 27. Januar 2017, einem Freitag, fristlos kündigen. Ein Mitarbeiter überbrachte als Bote des Unternehmens das Kündigungsschreiben und warf es am 27. Januar 2017 um 13:25 Uhr in den Briefkasten des zu kündigenden Arbeitnehmers. Dieser erhob am 20. Februar 2017 Kündigungsschutzklage.
Streitgegenständlich war, ob der Kläger die dreiwöchige Frist zur Klageerhebung eingehalten hat. Der Kläger behauptete, das Kündigungsschreiben erst am 30. Januar 2017, einem Montag, in seinem Briefkasten vorgefunden zu haben. Das Schreiben sei ihm demnach nicht am 27. Januar 2017, sondern frühesten am Folgetag zugegangen. Er prüfe jeweils ausschließlich vormittags nach dem üblicherweise erfolgten Besuch des Briefträgers, ob Post eingegangen sei. Nach dieser Argumentation würde die Drei-Wochen-Frist erst am 29. Januar 2017 beginnen und rechnerisch am 18. Februar 2017 enden. Dies war jedoch ein Samstag, so dass das Fristende sich gesetzlich auf den nächsten Werktag verschiebt, womit die Klage am Montag, 20. Februar 2017, noch rechtzeitig eingereicht worden wäre.
Nach Auffassung des BAG bewirkt der Einwurf eines Kündigungsschreibens in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei hierbei eine generalisierende Betrachtung geboten, auf die individuellen Verhältnisse sei hingegen nicht abzustellen. Es komme darauf an, wann am jeweiligen Ort die Postzustellung üblicherweise beendet sei. Vorliegend war die Postzustellung in der Regel gegen 11:00 Uhr beendet, wonach das Kündigungsschreiben, das erst um 13:25 Uhr eingeworfen worden war, dem Kläger erst am Folgetag zugegangen ist. Der Kläger hat die DreiWochen-Frist somit eingehalten.
(BAG, 22.08.2019 - 2 AZR 111/19)
Tipp für die Praxis
Die vom Beklagten, einem Insolvenzverwalter, verfasste Massenentlassungsanzeige ging am 26. Juni 2017 zusammen mit einem beigefügten Interessenausgleich bei der Agentur für Arbeit ein. Mit Schreiben vom selben Tage kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ebenso wie die Arbeitsverhältnisse der anderen zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigten Arbeitnehmer ordentlich betriebsbedingt mit Wirkung zum 30. September 2017. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 27. Juni 2017 zu. In seiner Kündigungsschutzklage macht er unter anderem geltend, dass der Arbeitgeber seiner Anzeigepflicht vor einer Entscheidung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses nachzukommen habe. Darum dürfe die Unterschrift unter das Kündigungsschreiben erst erfolgen, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei.
Das BAG vertrat die Auffassung, dass das Anzeigeverfahren (§ 17 Abs. 1 Abs. 3 Sätze 2 bis 5 KSchG) selbständig neben dem durchzuführenden Konsultationsverfahren (§ 17 Abs. 2 KSchG) steht. Es diene beschäftigungspolitischen Zwecken, damit die Agentur für Arbeit rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werde und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen könne. Hierfür müsse feststehen, wie viele und welche Arbeitnehmer konkret entlassen werden sollen. Auf den Willensentschluss des Arbeitgebers zur Kündigung könne, solle und wolle die Agentur für Arbeit - anders als der Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens - keinen Einfluss nehmen. Die Kündigung dürfe dem Arbeitnehmer erst zugehen, wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen sei. Ob die Anzeige wirksam war, d.h. den inhaltlichen Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügte, und ob das Anhörungsverfahren gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß eingeleitet wurde, muss noch vom LAG geklärt werden.
(BAG, 13.06.2019 - 6 AZR 459/18)
Der Arbeitgeber beantragte vorliegend die Ersetzung einer vom Betriebsrat am 22. Dezember 2016 verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden eines Konzernunternehmens wegen sexueller Belästigung einer Kollegin. Die im Unternehmen geltende Betriebsvereinbarung zum Schutz vor Diskriminierung sieht eine Verschwiegenheitspflicht für alle Personen vor, die entsprechende Hinweise erhalten, solange und soweit der Betroffene sie nicht davon entbindet. Die betroffene Mitarbeiterin wandte sich am 21. November 2016 an ihren Vorgesetzten und am 22. November 2016 an eine Prokuristin, die den Hinweis auf Wunsch der Mitarbeiterin zunächst vertraulich behandelten. Ab dem 24. November 2016 war die betroffene Mitarbeiterin, womöglich aufgrund der Vorfälle, arbeitsunfähig erkrankt. Am 14. Dezember 2016 teilte diese mit, sie wolle den Vorfall nun doch untersuchen lassen, und übermittelte am folgenden Tag einen schriftlichen Bericht. Am 16. Dezember 2016 wurde der Betriebsratsvorsitzende zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen angehört. Am 19. Dezember 2016 und erneut am 21. Dezember 2016 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden. Diese verweigerte der Betriebsrat. Das Arbeitsgericht hat dem Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin stattgegeben. Das LAG hat ihn auf die Beschwerde des Betriebsrats abgewiesen, da die Arbeitgeberin wegen Versäumung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ihr Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses verloren habe.
Das BAG entschied jedoch, dass die Arbeitgeberin zur weiteren Sachverhaltsaufklärung eine Anhörung des Betriebsratsvorsitzenden hatte abwarten dürfen und führte damit seine Rechtsprechung zum Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB fort. Die Ausschlussfrist beginne mit vollständiger Kenntnis der Umstände, wozu auch die Anhörung des Mitarbeiters zähle. Diese Anhörung habe aber regelmäßig innerhalb von einer Woche nach Entstehen des Verdachts zu erfolgen.
Im vorliegenden Fall sei die Fristsetzung aber möglicherweise aufgrund der Rücksichtnahmepflicht auf die berechtigten Interessen der betroffenen Arbeitnehmerin und den Schutz vor Gesundheitsgefahren entbehrlich gewesen. Ein Arbeitgeber dürfe zwar in einem solchen Fall nicht beliebig lange zuwarten, bis sich der Hinweisgeber zur Entbindung von der Vertraulichkeit entschließe. Ein Zeitraum von drei Wochen zwischen Mitteilung der Vorwürfe und Aufhebung der Vertraulichkeit sei bei einer möglicherweise auf den Vorfall zurückzuführenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aber nicht zu beanstanden.
(BAG, 27.06.2019 - 2 ABR 2/19)
Tipp für die Praxis
Im Rahmen eines Prozessvergleichs hatten sich die Parteien auf die Erteilung und Herausgabe eines wohlwollenden, qualifizierten Zeugnisses und Zwischenzeugnisses geeinigt. Dazu forderte die Beklagte den Kläger auf, eine Liste der erbrachten Tätigkeiten zu übersenden, die sie wortwörtlich einschließlich darin enthaltener Rechtschreibfehler übernahm. Der Kläger erbat die Beschreibung seiner Aufgaben durch nähere Erläuterungen unter Vermeidung der orthographischen Nachlässigkeiten. Die vom Kläger verlangte Berichtigung und Ergänzung einer Schlussformel (Dank und gute Wünsche) wurde von Seiten des Arbeitgebers wie folgt zurückgewiesen: „Die Qualität der Arbeitsweise (…) wird für spätere potentielle Arbeitgeber am wahrheitsgetreusten dokumentiert durch die unverfälschte Aufnahme der seinerseits für die Zeugnisanfertigung übermittelte Tätigkeitsaufzählung, einschließlich aller sprachlichen Ungenauigkeiten und aller Tippfehler.“ Sodann folgte die Klage auf Zeugniserteilung bzw. –berichtigung unter Vorlage eines vollständig durchformulierten Zeugnisses. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Im Rahmen der Berufung beantragte der Kläger hilfsweise, das tatsächlich erteilte Zeugnis um einen konkret formulierten Schlusssatz zu ergänzen.
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG entschieden, dass sich ein Anspruch auf Ergänzung einer sog. Schlussformel aus der Rücksichtnamepflicht des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB) in Verbindung mit dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 2 Abs. 1 GG) ergibt. Verzichte der Arbeitgeber insbesondere gegenüber den zukünftigen Lesern des Zeugnisses auf eine Schlussformel, zeige er, dass er gegenüber dem Arbeitnehmer jedenfalls zum Schluss der Zusammenarbeit nicht mehr den Respekt und die Wertschätzung entgegengebracht habe, die für ein gutes Gelingen eines Arbeitsverhältnisses erforderlich sei.
(LAG Mecklenburg-Vorpommern, 02.04.2019 – 2 Sa 187/18)
Tipp für die Praxis
Der Kläger ist Betriebsratsmitglied und in kontinuierlicher Wechselschicht beschäftigt. Sofern am ersten Tag der Freiwoche eine Betriebsratssitzung stattfindet, stellt die Beklagte den Kläger in der vorhergehenden Nachtschicht unter Fortzahlung der Vergütung für acht Stunden von der Arbeitsleistung frei. Der Kläger macht Zeitgutschriften für Zeiten der Betriebsratssitzungen in der Freiwoche geltend. Die Beklagte entgegnet, dass ihm keine zeitliche Mehrbelastung aufgrund der erfolgten Freistellung entstanden sei. Betriebsratstätigkeit liege nur dann „außerhalb der Arbeitszeit“ im Sinne von § 37 Abs. 3 BetrVG, wenn die persönliche Arbeitszeit bereits durch Arbeitsleistung oder Betriebsratstätigkeit ausgefüllt gewesen sei. Dies sei hier nicht der Fall. Jedenfalls habe sie etwaige Freizeitausgleichsansprüche durch die Freistellung in der vorangehenden Nachtschicht erfüllt.
Das BAG entschied, dass die Betriebsratstätigkeit nicht nur dann „außerhalb der Arbeitszeit“ gemäß § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG liegt, wenn sie zusätzlich zu der durch Arbeitsleistung oder erforderliche Betriebsratstätigkeit bereits ausgefüllten, vertraglichen Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds geleistet wird. Die Auslegung von § 37 Abs. 3 BetrVG ergebe, dass es für den Freizeitausgleichsanspruch nach Satz 1 nur darauf ankomme, ob die Betriebsratstätigkeit aus betriebsbedingten Gründen zu einer Zeit zu leisten sei, zu der das Betriebsratsmitglied keine Arbeitsleistungen zu erbringen hätte. An der gegenteiligen Auffassung halte der Senat nicht mehr fest. Dieser Freizeitausgleich solle nicht eine überobligatorische Arbeitsbelastung kompensieren, sondern einen Ausgleich darstellen für die betriebsbedingte Aufopferung persönlicher Freizeit, unabhängig davon, ob das Betriebsratsmitglied während der persönlichen Arbeitszeit zuvor vom Arbeitgeber (ganz oder teilweise) nicht zur Arbeit herangezogen wurde. Sonst bleibe auch unklar, auf welchen Zeitraum die Ermittlung einer zusätzlichen Belastung zu beziehen wäre.
Aufgrund der unterschiedlichen Zwecke von § 37 Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG liege auch keine unzulässige Begünstigung vor. Zudem könne der Arbeitgeber die „Verdoppelung“ der zu gewährenden Freizeit und die Entstehung eines „Freizeitbergs“ dadurch verhindern, dass er den Freizeitausgleichsanspruch in einer der nächsten Schichten erfüllt, die vor einer außerhalb der Arbeitszeit zu erbringenden Betriebsratstätigkeit liege. Eine Leistung vor der Entstehung des Anspruchs führe nur dann zur Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB, wenn die Parteien eine Anrechnungsabrede getroffen haben, woran es vorliegend aber fehle.
Das Arbeitsgericht Solingen hat auf Antrag der Arbeitgeberin und mehr als einem Viertel der Belegschaft am 04. Oktober 2019 den erst im Jahr 2018 gebildeten 13-köpfigen Betriebsrat eines Unternehmens aufgelöst. Nach Überzeugung des Gerichts hatte dieser seine gesetzlichen Pflichten grob verletzt, indem er die Zusammenarbeit mit der Personalleitung verweigert, unzutreffende Aussagen über die Arbeitgeberin anderen Arbeitnehmern gegenüber getätigt und zum Teil in rechtsmissbräuchlicher Art und Weise gerichtliche Verfahren ohne vorherige Verhandlung gegen die Arbeitgeberin eingeleitet hat. Damit könne auch in Zukunft keine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeberin erwartet werden. Gegen die Entscheidung steht dem Betriebsrat das Rechtsmittel der Beschwerde zum LAG Düsseldorf zu. Erst mit der Rechtskraft der Entscheidung ist der Betriebsrat tatsächlich aufgelöst.
(ArbG Solingen, 04.10.2019 - 1 BV 27/18)
Der Kläger arbeitete im Home Office in einem Büro im Keller seines Hauses, wo auch regelmäßig Besprechungen mit Kollegen stattfanden. Auf dem Rückweg vom heimischen WC stürzte er und wollte dies als Arbeitsunfall geltend machen. Das Sozialgericht München lehnte diesen Anspruch ab mit der Begründung, der Arbeitgeber habe dort keinen Einfluss auf die Sicherheit der Einrichtung.
(SG München, 04.07.2019 - S 40 U 227/18)
Damit Gewerkschaften das Arbeitsleben durch Tarifverträge sinnvoll gestalten und die Gemeinschaft befrieden können, müssen sie über eine Mindestverhandlungsmacht gegenüber dem Sozialpartner verfügen, so das Bundesverfassungsgericht. Grundsätzlich entscheiden die Arbeitsgerichte, ob Verbände tariffähig sind und somit Vertragsparteien eines Tarifvertrages sein können. Sowohl Unternehmen als auch konkurrierende Gewerkschaften können die Klassifizierung eines Verbandes als Gewerkschaft in Frage stellen und versuchen, deren Verhandlungsfähigkeit zu beeinträchtigen. Im vorliegenden Fall hatte das LAG auf Antrag eine Vereinigung von Arbeitnehmern der privaten Versicherungswirtschaft als nicht tarifvertragsfähig eingestuft. Der Verband reichte daraufhin eine Verfassungsbeschwerde ein, in der er eine Verletzung seines Grundrechts auf Vereinigungsfreiheit geltend machte.
Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde mit der Begründung zurück, dass es keine Verletzung des Grundrechts auf Koalitionsfreiheit ist, wenn Tarifautonomie nur solchen Verbänden gewährt wird, die über eine angemessene organisatorische Geschlossenheit und Durchsetzungsfähigkeit verfügen und damit in der Lagesind, ihre Aufgaben unabhängig vom Wohlwollen der Arbeitgeber und anderer Arbeitnehmergruppen zu erfüllen. Die Anzahl der durch den Verband vertretenen Mitarbeiter bestimme seine Verhandlungsfähigkeit und seine organisatorische Effizienz. Sie liefere auch den Nachweis, ob ein Verband genügend Druck aufbauen könne, um Tarifverträge zu gewinnen und abzuschließen. Die Verweigerung der Tarifverhandlungsfähigkeit von Splitterverbänden ohne ausreichenden Organisationsgrad stehe dazu nicht im Widerspruch. Im vorliegenden Fall habe das LAG außerdem nicht mit Sicherheit feststellen können, dass die Gewerkschaft ausreichend mächtig war.
(BVerfG, 13.09.2019 - 1 BvR 1/16)
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In this issue of Regulation Around the World we look at how regulators are developing their proposals for Open Finance.
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