Abschluss und Inhalt von Arbeitsverhältnissen
Crowdworker keine Arbeitnehmer
Das Landesarbeitsgericht München hat den Begriff des
„Crowdworkers“ nun weiter präzisiert und Licht in das
Dreiecksverhältnis zwischen Crowdsourcer, Plattformbetreiber und Crowdworker gebracht.
Rund 4,8 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung in
Deutschland verdient nach Aussagen des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales (BMAS) ihr Geld mit Minijobs
im Internet. Die sog. „Crowdworker“ übernehmen dabei
Arbeitsaufgaben von Unternehmen, die mittels eines offenen
Aufrufs über Apps oder auf allgemeinen oder spezialisierten
Netzwerkplattformen angeboten werden. Diese Aufgaben
müssen regelmäßig innerhalb kürzester Zeit nach den
bestehenden Vorgaben erledigt werden.
Nach einer Entscheidung des LAG München sind Crowdworker
nicht als Arbeitnehmer zu qualifizieren. Ein Arbeitsvertrag
würde nach den gesetzlichen Regelungen voraussetzen, dass
ein Mitarbeiter zur Leistung verpflichtet ist: weisungsgebunden,
fremdbestimmt und in persönlicher Abhängigkeit. Dies zeige
sich im Allgemeinen darin, dass er Arbeitsanweisungen
zeitlicher, örtlicher und inhaltlicher Art beachten müsse und
in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingebunden sei.
Vorliegend behauptete ein Crowdworker das Bestehen eines
unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit einem Plattformbetreiber,
nachdem dieser die Zusammenarbeit beendet hatte. Zu seinen
Aufgaben gehörte unter anderem das Fotografieren von
Tankstellen und Märkten und die Weiterleitung der Bilder zur
Überprüfung der Warenpräsentation. Die Beklagte entgegnete,
er sei selbständig und habe die Aufträge als Selbständiger
übernommen.
Das Gericht entschied nun, dass mit der Vereinbarung
zwischen Plattformbetreiber und dem Kläger gerade kein
Arbeitsvertrag zustande gekommen ist. Der Crowdworker sei
nicht verpflichtet gewesen, Leistungen zu erbringen bzw. die
angebotenen Aufträge anzunehmen. Es handele sich bei der
Vereinbarung lediglich um eine Rahmenvereinbarung. Die
Schutzvorschriften für Arbeitnehmer kämen nach bestehender
Gesetzeslage nicht in Betracht, auch wenn der Kläger einen
erheblichen Teil seines Lebensunterhalts durch die Aufträge
verdiene und damit unter Druck sei, auch in Zukunft Aufträge
anzunehmen.
Die spannende Frage, ob durch das Anklicken eines Auftrages
möglicherweise ein befristetes Arbeitsverhältnis zustande
gekommen ist, musste das Gericht nicht entscheiden.
Daher bleibt abzuwarten, ob eine mögliche Revision zum
Bundesarbeitsgericht (BAG) weitere Klarheit bringt.
(LAG München, 04.12.2019 - 8 Sa 146/19)
Arbeitszeiterfassung mittels Fingerprint
Die Verarbeitung biometrischer Daten im Rahmen von
Zeiterfassungssystemen ohne Einwilligung ist unzulässig.
Hinsichtlich der technischen Umsetzung von
Arbeitszeiterfassungssystemen hat das ArbG Berlin
entschieden, dass eine Arbeitszeiterfassung durch ein
Zeiterfassungssystem mittels Fingerprint ohne Einwilligung der
betroffenen Person unzulässig ist.
In diesem Fall hatte sich ein Mitarbeiter geweigert, sich mittels
Fingerprint im Zeiterfassungssystem anzumelden und die
Zeiterfassung stattdessen händisch fortgeführt. Seine Klage
auf Entfernung einer Abmahnung wegen Nichtbenutzung
des Zeiterfassungssystems war erfolgreich. Nach Auffassung
des ArbG Berlin handelt es sich um biometrische Daten im
Sinne vonArt. 9 Abs. 1 DSGVO und um besondere Kategorien
personenbezogener Daten nach § 26 Abs. 3 BDSG. Eine
Verarbeitung dieser Daten könne die Privatsphäre des
Mitarbeiters und damit dessen Recht auf informationelle
Selbstbestimmung in besonderen Maße verletzen. Deshalb sei
eine Verarbeitung derartiger Daten grundsätzlich verboten und
komme nur im Falle des Eingreifens von Erlaubnistatbeständen,
wie z.B. § 26 Abs. 1 BDSG in Betracht. Hiernach ist eine
Datenverarbeitung erlaubt, sofern sie erforderlich ist. Das ArbG
Berlin hat entschieden, dass die Arbeitszeiterfassung mittels
Fingerprint einen erheblichen Eingriff darstellt und vorliegend
nicht erforderlich ist, da ein Missbrauch des bisherigen
händischen Arbeitszeiterfassungssystems durch z.B. das
Mitstempeln von Arbeitszeiten abwesender Mitarbeiter durch
Kollegen lediglich vereinzelt zu befürchten ist und sich die
überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer rechtstreu verhält.
Nur im Falle des Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für einen Missbrauch des händischen Arbeitserfassungssystems
könne die Erforderlichkeit einer Arbeitszeiterfassung mittels
Fingerprint angenommen werden.
(ArbG Berlin, 16.10.2019 - 29 Ca 5451/19)
Sachgrundlose Befristung
Eine sachgrundlose Befristung ist insbesondere
dann möglich, wenn die Vorbeschäftigung sehr lange
zurückliegt, ganz anders geartet oder von sehr kurzer
Dauer war.
Gemäß der gesetzlichen Regelung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG
ist die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags nur dann
zulässig, wenn nicht bereits mit demselben Arbeitgeber zuvor
ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden
hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) ist diese Regelung in besonderen Fällen allerdings
verfassungskonform auszulegen, wobei drei Fallgruppen zu
unterscheiden seien: Die Vorbeschäftigung liegt sehr lange
zurück, die Vorbeschäftigung war ganz anders geartet und
die Vorbeschäftigung war von sehr kurzer Dauer. Damit ist die
Rechtsprechung des siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts
seit dem Jahr 2011 verfassungswidrig, die eine sachgrundlose
Befristung immer dann für zulässig erklärte, wenn die
Vorbeschäftigung bereits drei Jahre zurücklag.
In der vorliegenden Entscheidung gelangt das BAG erstmals
zu dem Ergebnis, dass eine Vorbeschäftigung tatsächlich
sehr lange zurückliegt. Die Klägerin war bei der Beklagten
in der Zeit vom 22. Oktober 1991 bis zum 30. November
1992 als Hilfsbearbeiterin für Kindergeld beschäftigt. Die
Beklagte stellte die Klägerin erneut mit Wirkung zum 15.
Oktober 2014 als Telefonserviceberaterin im Servicecenter
ein. Das Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum 30. Juni
2015 sachgrundlos befristet und wurde später bis zum 30.
Juni 2016 verlängert. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die
Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der
Befristung zum Ablauf des 30. Juni 2016 geendet hat. Das ArbG
hat die Klage abgewiesen, das LAG hat der Klage stattgegeben.
Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Zwar sei die
kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne
Vorliegen eines Sachgrundes nicht zulässig, wenn mit
demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis
bestanden habe. Nach der Entscheidung des BVerfG vom
6. Juni 2018 sind die Fachgerichte allerdings verpflichtet,
den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG durch
verfassungskonforme Auslegung einzuschränken, wenn
das Verbot der sachgrundlosen Befristung im konkreten
Fall unzumutbar ist. Dies sei der Fall, wenn die Gefahr
einer Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen
Unterlegenheit der Arbeitnehmer nicht bestehe und das Verbot
der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich sei, um das
unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform
zu erhalten. Unzumutbar sei das Verbot der sachgrundlosen
Befristung insbesondere, wenn eine Vorbeschäftigung sehr
lange zurückliege. Das sei bei der 22 Jahre zurückliegenden
Vorbeschäftigung der Fall. Auch lägen keine besonderen
Umstände vor, die dennoch die Anwendung des § 14 Abs. 2 S. 2
TzBfG gebieten.
(BAG, 21.08.2019 - 7 AZR 452/17)
Tipp für die Praxis
- Eine weitere sachgrundlose Befristung ist nach 22 Jahren
zulässig. Es können jedoch besondere Umstände vorliegen,
welche die Anwendung des Vorbeschäftigungsverbots
trotzdem rechtfertigen.
- Nach wie vor ungeklärt bleibt, was im konkreten
Einzelfall gilt. Aber immerhin gibt das BAG eine
Orientierung, was unter einer „sehr lang zurückliegenden
Beschäftigungsdauer“ zu verstehen ist.
Stufenweise Wiedereingliederung schwerbehinderter Beschäftigter
Ein Arbeitgeber kann verpflichtet sein, an
einer stufenweisen Wiedereingliederung
eines schwerbehinderten Beschäftigten in das
Erwerbsleben mitzuwirken und diese entsprechend
den Vorgaben eines Wiedereingliederungsplans zu
beschäftigen. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht
des Arbeitgebers kann Schadensersatzansprüche des
Arbeitnehmers begründen.
Der als schwerbehindert anerkannte Kläger war zuletzt
als Bauleiter für die Beklagte tätig und über einen
längeren Zeitraum wiederholt erkrankt. Das Ergebnis der
betriebsärztlichen Untersuchung befürwortete eine stufenweise
Wiedereingliederung mit erheblichen Einschränkungen,
wobei der vom behandelnden Facharzt aufgestellte
Wiedereingliederungsplan keine Angaben zu etwaigen
Einschränkungen enthielt. Die Beklagte lehnte den Antrag
auf stufenweise Wiedereingliederung unter Hinweis auf
die betriebsärztliche Beurteilung und die dort genannten
Einschränkungen ab. Einem späteren Antrag auf stufenweise
Wiedereingliederung stimmte die Beklagte zu. Für die Zeit
der unterbliebenen Beschäftigung begehrt der Kläger Schadensersatz in Höhe des Betrags, der ihm durch die aus
seiner Sicht verspätete Wiedereingliederung entgangen ist.
Das ArbG wies die Klage ab, das LAG gab der Berufung im
Wesentlichen statt. Dagegen wendete sich die Beklagte mit
ihrer erfolgreichen Revision.
Grundsätzlich besteht nach Ansicht des BAG kein Anspruch
auf Mitwirkung des Arbeitgebers an einer stufenweisen
Wiedereingliederung und entsprechenden Beschäftigung des
Arbeitnehmers in das Erwerbsleben. Ausnahmsweise könne
bei schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten
Arbeitnehmer etwas anderes gelten und eine Verletzung der
Mitwirkungspflicht Schadensersatzansprüche begründen.
Voraussetzung sei allerdings, dass der Arbeitnehmer eine
ärztliche Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorlege,
aus der sich Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung,
mögliche Beschäftigungsbeschränkungen, Umfang der
Arbeitszeit sowie Dauer der Maßnahme ergäben. Zudem
müsse die Bescheinigung eine Prognose hinsichtlich der
„voraussichtlichen“ Wiederaufnahme der Tätigkeit enthalten.
Obwohl das BAG den vom Kläger vorgelegten Wiedereingliederungsplan als ordnungsgemäße ärztliche
Bescheinigung anerkannte, durfte die Beklagte den
Wiedereingliederungsantrag ablehnen. Aufgrund der im
Rahmen der betriebsärztlichen Beurteilung aufgezählten
Einschränkungen habe die Beklagte davon ausgehen dürfen,
dass der Gesundheitszustand des Klägers eine stufenweise
Wiedereingliederung in seinen bisherigen Tätigkeitsbereich
nicht zuließe und dem Kläger hieraus nachteilige
gesundheitliche Folgen erwachsen würden.
(BAG, 16.05.2019 – 8 AZR 530/17)
Tipp für die Praxis
- Die Ablehnung eines Wiedereingliederungsantrags ist nicht
allein an den gesetzlich geregelten Fällen zu messen. Ein
Wiedereingliederungsplan ist vielmehr auch daraufhin zu
überprüfen, ob die stufenweise Wiedereingliederung in das
Erwerbsleben im konkreten Fall aller Voraussicht nach mit
nachteiligen gesundheitlichen Folgen für den Arbeitnehmer
verbunden ist.
Teilzeitantrag für Ferien
Beantragt ein Arbeitnehmer die Reduzierung der Arbeitszeit um 1/12 mit dem Ziel der dauerhaften Freistellung
im Ferienmonat August, kann dies rechtsmissbräuchlich
sein, wenn dieser Monat regelmäßig besonders arbeitsintensiv ist und dadurch Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer deutlich eingeschränkt werden.
Der Kläger, ein Kfz-Sachverständiger mit schulpflichtigem Kind,
beantragte die Reduzierung seiner regelmäßigen jährlichen
Arbeitszeit um 1/12. Die arbeitsfreien Tage sollten dabei in den
Kalendermonat August gelegt werden. Die Beklagte lehnte
das Begehren des Klägers betriebsbedingt ab. Insbesondere
sei der Monat August der umsatzstärkste Monat im Jahr, der
Arbeitsausfall sei in diesem Zeitraum auch aufgrund von
Urlaubswünschen anderer Mitarbeiter nicht kompensierbar,
weshalb regelmäßig auch nur maximal 10 Urlaubstage gewährt
würden.
Die hiergegen gerichtete Klage des Arbeitnehmers blieb
erfolglos, da das Gericht die von der Beklagten vorgebrachten
und belegten betrieblichen Gründe anerkannte. Nicht
entscheidungsrelevant sei, wie viele andere Mitarbeiter
schulpflichtige Kinder oder eventuell andere Gründe haben, um
im August Urlaub nehmen zu wollen.
Darüber hinaus stelle der Teilzeitwunsch des Klägers eine
unzulässige Rechtsausübung im Sinne des § 242 BGB dar. Die
gewünschte Verringerung der Arbeitszeit sowie der Wunsch,
den gesamten August arbeitsfrei zu haben, verfolge den
Zweck, die arbeitgeberseitige Beschränkung der möglichen
Urlaubstage im August zu unterlaufen und für die folgenden
Jahre die Urlaubsnahme zu sichern. Der Kläger begehre
damit eine Verteilung seiner Arbeitszeit, auf die er ohne die
Arbeitszeitreduzierung keinen Anspruch hätte.
(LAG Nürnberg, 27.08.2019 - 6 Sa 110/19)
Krankenschein per Whatsapp rechtswidrig
Die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Wege der Ferndiagnose ist ein Verstoß
gegen die ärztliche Sorgfalt.
Kläger war ein Verein, dem unter anderem die Ärztekammer
Hamburg und Schleswig-Holstein angehören. Die Beklagte bot
die Erteilung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch
einen mit ihr zusammenarbeitenden Arzt an und warb damit.
Das LAG Hamburg hat entschieden, dass eine solche Werbung
unlauter ist und den Beklagten zur Unterlassung verpflichtet.
Das Angebot eines Internet-Dienstleisters, den
Gesundheitszustand eines Arbeitnehmers durch
einen Fragenkatalog und anschließende Auswertung
durch approbierte Ärzte zu ermitteln und
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen am selben Abend
per WhatsApp zu verschicken, verstößt nach Ansicht des
LAG Hamburg gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht. Gemäß
§ 25 der Musterberufsordnung für Ärzte sowie § 25 der
Hamburger Berufsordnung für Ärzte müssen Ärzte bei
der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse mit
der notwendigen Sorgfalt verfahren und nach bestem
Wissen ihre ärztliche Überzeugung aussprechen. Die
Schwere der Erkrankung könne nicht durch Rücksprache
mit dem Patienten per Telefon oder Video-Chat, sondern
nur durch unmittelbaren persönlichen Eindruck zuverlässig
eingeschätzt werden. Damit unvereinbar sei es, über den
Einzelfall hinausgehend Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
auch nur bei leichteren Erkrankungen wie Erkältungen
regelhaft ohne persönlichen Kontakt zu erteilen. Daran
ändere es auch nichts, dass herkömmliche, mit persönlichem
Kontakt zum Patienten ausgestellte Krankschreibungen
in einer mehr oder minder großen Zahl von Fällen nicht
der ärztlichen Sorgfalt entsprechen. Schließlich sei die
Krankschreibung auch Grundlage für den Anspruch auf
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
(LG Hamburg, 03.09.2019 - 406 HK O 56/19)
Entgeltfortzahlung bei weiterer Erkrankung
Die Entgeltfortzahlung bei Krankheit ist auf sechs
Wochen beschränkt. Wenn Arbeitnehmer sich anschließend erneut krankschreiben lassen, können sie
nur dann mit einer neuerlichen Entgeltfortzahlung
rechnen, wenn die ursprüngliche Arbeitsunfähigkeit zu
Beginn der neuen bereits beendet ist. Im Streitfall muss
dies der Arbeitnehmer beweisen.
Die Klägerin, eine Altenpflegerin aus Niedersachsen,
war im Jahr 2017 zunächst gut drei Monate wegen einer
psychischen Erkrankung arbeitsunfähig. Noch am Schlusstag
der Arbeitsunfähigkeit bescheinigte ihr eine andere Ärztin
wegen einer für den nächsten Tag geplanten Operation als
“Erstbescheinigung” eine weitere Arbeitsunfähigkeit, welche
durch Folgebescheinigungen auf circa sechs Wochen
verlängert wurde. In dieser Zeit erhielt die Klägerin weder
Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber noch Krankengeld
von ihrer Krankenkasse. Mit ihrer Klage verlangte sie rund
3.400 Euro brutto nebst Zinsen von ihrem Arbeitgeber. Sie
behauptete, wegen eines neuen Leidens arbeitsunfähig
gewesen zu sein, die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer
psychischen Erkrankung sei bereits beendet gewesen. Ihr
Arbeitgeber sah das anders und vertrat die Auffassung, dass
von einem einheitlichen Verhinderungsfall auszugehen sei.
Der Senat gab dem Arbeitgeber Recht. Aus den
Entscheidungsgründen ergibt sich der folgende Grundsatz:
„Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und
schließt sich daran in engem zeitlichen Zusammenhang
eine im Wege der ‘Erstbescheinigung’ attestierte weitere
Arbeitsunfähigkeit an, hat der Arbeitnehmer im Streitfall
darzulegen und zu beweisen, dass die vorangegangene
Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren
Arbeitsverhinderung geendet hatte.” Die Klägerin habe dies
nicht beweisen können.
(BAG, 11.12.2019 - 5 AZR 505/18)
Beendigung
Zugang einer Kündigung bei Einwurf in den
Hausbriefkasten
Eine Kündigung geht zu, sobald sie in verkehrsüblicher
Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen
Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis
zu nehmen. Dies beurteilt sich nach den „gewöhnlichen
Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“.
Der Arbeitgeber wollte dem langjährig beschäftigen Kläger, der
in Frankreich wohnt und im Werk des Klägers im deutschen
Ort R. beschäftigt war, mit Schreiben vom 27. Januar 2017,
einem Freitag, fristlos kündigen. Ein Mitarbeiter überbrachte als
Bote des Unternehmens das Kündigungsschreiben und warf
es am 27. Januar 2017 um 13:25 Uhr in den Briefkasten des zu
kündigenden Arbeitnehmers. Dieser erhob am 20. Februar 2017
Kündigungsschutzklage.
Streitgegenständlich war, ob der Kläger die dreiwöchige Frist
zur Klageerhebung eingehalten hat. Der Kläger behauptete,
das Kündigungsschreiben erst am 30. Januar 2017, einem
Montag, in seinem Briefkasten vorgefunden zu haben.
Das Schreiben sei ihm demnach nicht am 27. Januar 2017,
sondern frühesten am Folgetag zugegangen. Er prüfe jeweils
ausschließlich vormittags nach dem üblicherweise erfolgten
Besuch des Briefträgers, ob Post eingegangen sei. Nach dieser
Argumentation würde die Drei-Wochen-Frist erst am 29. Januar
2017 beginnen und rechnerisch am 18. Februar 2017 enden.
Dies war jedoch ein Samstag, so dass das Fristende sich
gesetzlich auf den nächsten Werktag verschiebt, womit die
Klage am Montag, 20. Februar 2017, noch rechtzeitig eingereicht
worden wäre.
Nach Auffassung des BAG bewirkt der Einwurf eines
Kündigungsschreibens in einen Briefkasten den Zugang, sobald
nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu
rechnen ist. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei hierbei eine
generalisierende Betrachtung geboten, auf die individuellen
Verhältnisse sei hingegen nicht abzustellen. Es komme darauf
an, wann am jeweiligen Ort die Postzustellung üblicherweise
beendet sei. Vorliegend war die Postzustellung in der Regel
gegen 11:00 Uhr beendet, wonach das Kündigungsschreiben,
das erst um 13:25 Uhr eingeworfen worden war, dem Kläger
erst am Folgetag zugegangen ist. Der Kläger hat die DreiWochen-Frist somit eingehalten.
(BAG, 22.08.2019 - 2 AZR 111/19)
Tipp für die Praxis
- Grundsätzlich sollte die Zustellung arbeitgeberseitiger
Schreiben am Vortag des Fristablaufs beim Arbeitnehmer
erfolgen.
- Gelingt dies nicht, sollte ein Einwurf in den Briefkasten
am Tag des Fristablaufs bis spätestens 10:00 Uhr erfolgen.
Ist auch das nicht möglich, muss versucht werden, ein
Schreiben nicht nur in den Briefkasten einzuwerfen, sondern
dem Arbeitnehmer persönlich zu übergeben.
Massenentlassungsanzeige und umgehende
Kündigung
Im Falle einer Massenentlassung sind Kündigungen
dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber vor Erklärung
der Kündigung keine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Behörde erstattet
hat. Eine Massenentlassungsanzeige kann auch dann
wirksam erstattet werden, wenn der Arbeitgeber im
Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit
bereits zur Kündigung entschlossen ist.
Die vom Beklagten, einem Insolvenzverwalter, verfasste
Massenentlassungsanzeige ging am 26. Juni 2017 zusammen
mit einem beigefügten Interessenausgleich bei der Agentur
für Arbeit ein. Mit Schreiben vom selben Tage kündigte der
Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ebenso wie die
Arbeitsverhältnisse der anderen zu diesem Zeitpunkt noch
beschäftigten Arbeitnehmer ordentlich betriebsbedingt mit
Wirkung zum 30. September 2017. Das Kündigungsschreiben
ging dem Kläger am 27. Juni 2017 zu. In seiner Kündigungsschutzklage macht er unter anderem geltend, dass der
Arbeitgeber seiner Anzeigepflicht vor einer Entscheidung zur
Kündigung des Arbeitsverhältnisses nachzukommen habe.
Darum dürfe die Unterschrift unter das Kündigungsschreiben
erst erfolgen, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der
Agentur für Arbeit eingegangen sei.
Das BAG vertrat die Auffassung, dass das Anzeigeverfahren
(§ 17 Abs. 1 Abs. 3 Sätze 2 bis 5 KSchG) selbständig neben
dem durchzuführenden Konsultationsverfahren (§ 17
Abs. 2 KSchG) steht. Es diene beschäftigungspolitischen
Zwecken, damit die Agentur für Arbeit rechtzeitig über eine
bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werde und
ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen könne.
Hierfür müsse feststehen, wie viele und welche Arbeitnehmer
konkret entlassen werden sollen. Auf den Willensentschluss des Arbeitgebers zur Kündigung könne, solle und wolle die
Agentur für Arbeit - anders als der Betriebsrat im Rahmen
des Konsultationsverfahrens - keinen Einfluss nehmen. Die
Kündigung dürfe dem Arbeitnehmer erst zugehen, wenn die
Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für
Arbeit eingegangen sei. Ob die Anzeige wirksam war, d.h. den
inhaltlichen Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügte, und ob
das Anhörungsverfahren gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG
ordnungsgemäß eingeleitet wurde, muss noch vom LAG
geklärt werden.
(BAG, 13.06.2019 - 6 AZR 459/18)
Frist zur Anhörung des Mitarbeiters bei
fristloser Kündigung
Die regelmäßig kurze Anhörungsfrist bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung kann ausnahmsweise
länger als eine Woche sein, wenn der hinweisgebende
Arbeitnehmer berechtigterweise um Vertraulichkeit
bittet und auf Nachfrage nicht innerhalb der gesetzten
Frist auf die Vertraulichkeit der Mitteilung verzichtet.
Der Arbeitgeber beantragte vorliegend die Ersetzung einer vom
Betriebsrat am 22. Dezember 2016 verweigerten Zustimmung
zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden
eines Konzernunternehmens wegen sexueller Belästigung einer
Kollegin. Die im Unternehmen geltende Betriebsvereinbarung zum
Schutz vor Diskriminierung sieht eine Verschwiegenheitspflicht
für alle Personen vor, die entsprechende Hinweise erhalten,
solange und soweit der Betroffene sie nicht davon entbindet. Die
betroffene Mitarbeiterin wandte sich am 21. November 2016 an
ihren Vorgesetzten und am 22. November 2016 an eine Prokuristin,
die den Hinweis auf Wunsch der Mitarbeiterin zunächst vertraulich
behandelten. Ab dem 24. November 2016 war die betroffene
Mitarbeiterin, womöglich aufgrund der Vorfälle, arbeitsunfähig
erkrankt. Am 14. Dezember 2016 teilte diese mit, sie wolle den
Vorfall nun doch untersuchen lassen, und übermittelte am
folgenden Tag einen schriftlichen Bericht. Am 16. Dezember 2016
wurde der Betriebsratsvorsitzende zu den gegen ihn erhobenen
Vorwürfen angehört. Am 19. Dezember 2016 und erneut am
21. Dezember 2016 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung
des Betriebsrats zur Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden.
Diese verweigerte der Betriebsrat. Das Arbeitsgericht hat dem
Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin stattgegeben.
Das LAG hat ihn auf die Beschwerde des Betriebsrats abgewiesen,
da die Arbeitgeberin wegen Versäumung der Ausschlussfrist des
§ 626 Abs. 2 BGB ihr Recht zur außerordentlichen Kündigung des
Arbeitsverhältnisses verloren habe.
Das BAG entschied jedoch, dass die Arbeitgeberin zur
weiteren Sachverhaltsaufklärung eine Anhörung des
Betriebsratsvorsitzenden hatte abwarten dürfen und führte
damit seine Rechtsprechung zum Beginn der Ausschlussfrist
des § 626 Abs. 2 BGB fort. Die Ausschlussfrist beginne mit
vollständiger Kenntnis der Umstände, wozu auch die Anhörung
des Mitarbeiters zähle. Diese Anhörung habe aber regelmäßig
innerhalb von einer Woche nach Entstehen des Verdachts zu
erfolgen.
Im vorliegenden Fall sei die Fristsetzung aber möglicherweise
aufgrund der Rücksichtnahmepflicht auf die berechtigten
Interessen der betroffenen Arbeitnehmerin und den
Schutz vor Gesundheitsgefahren entbehrlich gewesen. Ein
Arbeitgeber dürfe zwar in einem solchen Fall nicht beliebig
lange zuwarten, bis sich der Hinweisgeber zur Entbindung
von der Vertraulichkeit entschließe. Ein Zeitraum von drei
Wochen zwischen Mitteilung der Vorwürfe und Aufhebung
der Vertraulichkeit sei bei einer möglicherweise auf den Vorfall
zurückzuführenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit
aber nicht zu beanstanden.
(BAG, 27.06.2019 - 2 ABR 2/19)
Tipp für die Praxis
- Die Pflicht zur Vertraulichkeit kann unter bestimmten
Voraussetzungen (berechtigtes Interesse des
Hinweisgebers, Fristsetzung des Arbeitgebers) eine
Überschreitung der Regelfrist für die Anhörung des
Beschuldigten rechtfertigen.
- Arbeitgeber sollten im Fall einer Vertraulichkeitsvereinbarung nicht beliebig lange mit der Anhörung des
Beschuldigten zuwarten, sondern stets die Umstände
des Einzelfalls abwägen. Denn das BAG hat ausdrücklich
offengelassen, welche Frist für eine Entscheidung über die
Entbindung von der Vertraulichkeit noch hinnehmbar ist.
Anspruch auf Schlussformel im Arbeitszeugnis?
Ein Anspruch auf eine Schlussformel im Arbeitszeugnis
kann sich aus der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers und dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ergeben.
Im Rahmen eines Prozessvergleichs hatten sich die Parteien auf
die Erteilung und Herausgabe eines wohlwollenden, qualifizierten
Zeugnisses und Zwischenzeugnisses geeinigt. Dazu forderte die
Beklagte den Kläger auf, eine Liste der erbrachten Tätigkeiten zu
übersenden, die sie wortwörtlich einschließlich darin enthaltener
Rechtschreibfehler übernahm. Der Kläger erbat die Beschreibung
seiner Aufgaben durch nähere Erläuterungen unter Vermeidung
der orthographischen Nachlässigkeiten. Die vom Kläger
verlangte Berichtigung und Ergänzung einer Schlussformel
(Dank und gute Wünsche) wurde von Seiten des Arbeitgebers
wie folgt zurückgewiesen: „Die Qualität der Arbeitsweise (…)
wird für spätere potentielle Arbeitgeber am wahrheitsgetreusten
dokumentiert durch die unverfälschte Aufnahme der seinerseits
für die Zeugnisanfertigung übermittelte Tätigkeitsaufzählung,
einschließlich aller sprachlichen Ungenauigkeiten und aller
Tippfehler.“ Sodann folgte die Klage auf Zeugniserteilung bzw.
–berichtigung unter Vorlage eines vollständig durchformulierten
Zeugnisses. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Im
Rahmen der Berufung beantragte der Kläger hilfsweise, das
tatsächlich erteilte Zeugnis um einen konkret formulierten
Schlusssatz zu ergänzen.
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat entgegen der
höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG entschieden, dass
sich ein Anspruch auf Ergänzung einer sog. Schlussformel aus
der Rücksichtnamepflicht des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB)
in Verbindung mit dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers
(Art. 2 Abs. 1 GG) ergibt. Verzichte der Arbeitgeber insbesondere
gegenüber den zukünftigen Lesern des Zeugnisses auf eine
Schlussformel, zeige er, dass er gegenüber dem Arbeitnehmer
jedenfalls zum Schluss der Zusammenarbeit nicht mehr den
Respekt und die Wertschätzung entgegengebracht habe, die für
ein gutes Gelingen eines Arbeitsverhältnisses erforderlich sei.
(LAG Mecklenburg-Vorpommern, 02.04.2019 – 2 Sa 187/18)
Tipp für die Praxis
- Schlussformeln sind weiterhin in der Praxis üblich.
Es gibt hingegen keinen gesetzlichen Anspruch des
Arbeitnehmers auf Beendigung des Arbeitszeugnisses mit
einer Dankesformel, der gerichtlich durchsetzbar wäre.
Eine Änderung der Rechtsprechung des BAG ist künftig
gleichwohl denkbar.
Betriebsverfassungsrecht
Freizeitausgleichsanspruch wegen Betriebsratstätigkeit
Betriebsratstätigkeit liegt „außerhalb der Arbeitszeit“,
wenn sie zu einer Zeit zu leisten ist, zu der das Betriebsratsmitglied keine Arbeitsleistungen zu erbringen hätte. Der Freizeitausgleichsanspruch wird ohne
Anrechnungsabrede nicht durch die vorangegangene
Freistellung von der Arbeitsleistung erfüllt.
Der Kläger ist Betriebsratsmitglied und in kontinuierlicher
Wechselschicht beschäftigt. Sofern am ersten Tag der
Freiwoche eine Betriebsratssitzung stattfindet, stellt die
Beklagte den Kläger in der vorhergehenden Nachtschicht
unter Fortzahlung der Vergütung für acht Stunden von
der Arbeitsleistung frei. Der Kläger macht Zeitgutschriften
für Zeiten der Betriebsratssitzungen in der Freiwoche
geltend. Die Beklagte entgegnet, dass ihm keine zeitliche
Mehrbelastung aufgrund der erfolgten Freistellung
entstanden sei. Betriebsratstätigkeit liege nur dann
„außerhalb der Arbeitszeit“ im Sinne von § 37 Abs. 3
BetrVG, wenn die persönliche Arbeitszeit bereits durch
Arbeitsleistung oder Betriebsratstätigkeit ausgefüllt gewesen
sei. Dies sei hier nicht der Fall. Jedenfalls habe sie etwaige
Freizeitausgleichsansprüche durch die Freistellung in der
vorangehenden Nachtschicht erfüllt.
Das BAG entschied, dass die Betriebsratstätigkeit nicht nur
dann „außerhalb der Arbeitszeit“ gemäß § 37 Abs. 3 S. 1
BetrVG liegt, wenn sie zusätzlich zu der durch Arbeitsleistung
oder erforderliche Betriebsratstätigkeit bereits ausgefüllten,
vertraglichen Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds geleistet
wird. Die Auslegung von § 37 Abs. 3 BetrVG ergebe, dass es
für den Freizeitausgleichsanspruch nach Satz 1 nur darauf
ankomme, ob die Betriebsratstätigkeit aus betriebsbedingten
Gründen zu einer Zeit zu leisten sei, zu der das
Betriebsratsmitglied keine Arbeitsleistungen zu erbringen hätte.
An der gegenteiligen Auffassung halte der Senat nicht mehr
fest. Dieser Freizeitausgleich solle nicht eine überobligatorische
Arbeitsbelastung kompensieren, sondern einen Ausgleich
darstellen für die betriebsbedingte Aufopferung persönlicher
Freizeit, unabhängig davon, ob das Betriebsratsmitglied
während der persönlichen Arbeitszeit zuvor vom Arbeitgeber
(ganz oder teilweise) nicht zur Arbeit herangezogen wurde.
Sonst bleibe auch unklar, auf welchen Zeitraum die Ermittlung
einer zusätzlichen Belastung zu beziehen wäre.
Aufgrund der unterschiedlichen Zwecke von § 37 Abs. 2
und Abs. 3 BetrVG liege auch keine unzulässige Begünstigung vor. Zudem könne der Arbeitgeber die
„Verdoppelung“ der zu gewährenden Freizeit und die Entstehung eines „Freizeitbergs“ dadurch verhindern, dass
er den Freizeitausgleichsanspruch in einer der nächsten
Schichten erfüllt, die vor einer außerhalb der Arbeitszeit
zu erbringenden Betriebsratstätigkeit liege. Eine Leistung
vor der Entstehung des Anspruchs führe nur dann zur
Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB, wenn die Parteien eine
Anrechnungsabrede getroffen haben, woran es vorliegend
aber fehle.
Auflösung eines Betriebsrats
Sofern eine vertrauensvolle Zusammenarbeit
zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber auch zukünftig
nicht erwartet werden kann, kann die Auflösung des
Betriebsrats drohen.
Das Arbeitsgericht Solingen hat auf Antrag der Arbeitgeberin
und mehr als einem Viertel der Belegschaft am 04. Oktober
2019 den erst im Jahr 2018 gebildeten 13-köpfigen Betriebsrat
eines Unternehmens aufgelöst. Nach Überzeugung des
Gerichts hatte dieser seine gesetzlichen Pflichten grob
verletzt, indem er die Zusammenarbeit mit der Personalleitung
verweigert, unzutreffende Aussagen über die Arbeitgeberin
anderen Arbeitnehmern gegenüber getätigt und zum Teil in
rechtsmissbräuchlicher Art und Weise gerichtliche Verfahren
ohne vorherige Verhandlung gegen die Arbeitgeberin
eingeleitet hat. Damit könne auch in Zukunft keine
vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und
Arbeitgeberin erwartet werden. Gegen die Entscheidung steht
dem Betriebsrat das Rechtsmittel der Beschwerde zum LAG
Düsseldorf zu. Erst mit der Rechtskraft der Entscheidung ist der
Betriebsrat tatsächlich aufgelöst.
(ArbG Solingen, 04.10.2019 - 1 BV 27/18)
Sonstiges
Unfallversicherung im Home Office
Arbeitnehmer im Home Office sind beim Gang zur
Toilette nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung
geschützt.
Der Kläger arbeitete im Home Office in einem Büro im Keller
seines Hauses, wo auch regelmäßig Besprechungen mit
Kollegen stattfanden. Auf dem Rückweg vom heimischen WC
stürzte er und wollte dies als Arbeitsunfall geltend machen.
Das Sozialgericht München lehnte diesen Anspruch ab mit der
Begründung, der Arbeitgeber habe dort keinen Einfluss auf die
Sicherheit der Einrichtung.
(SG München, 04.07.2019 - S 40 U 227/18)
Tariffähigkeit von Gewerkschaften
Gewerkschaften müssen über ein Mindestmaß an Verhandlungsmacht verfügen, um als tariffähig eingestuft
zu werden.
Damit Gewerkschaften das Arbeitsleben durch Tarifverträge
sinnvoll gestalten und die Gemeinschaft befrieden können,
müssen sie über eine Mindestverhandlungsmacht gegenüber
dem Sozialpartner verfügen, so das Bundesverfassungsgericht.
Grundsätzlich entscheiden die Arbeitsgerichte, ob Verbände
tariffähig sind und somit Vertragsparteien eines Tarifvertrages
sein können. Sowohl Unternehmen als auch konkurrierende
Gewerkschaften können die Klassifizierung eines Verbandes
als Gewerkschaft in Frage stellen und versuchen, deren
Verhandlungsfähigkeit zu beeinträchtigen. Im vorliegenden
Fall hatte das LAG auf Antrag eine Vereinigung von
Arbeitnehmern der privaten Versicherungswirtschaft als nicht
tarifvertragsfähig eingestuft. Der Verband reichte daraufhin eine
Verfassungsbeschwerde ein, in der er eine Verletzung seines
Grundrechts auf Vereinigungsfreiheit geltend machte.
Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde mit
der Begründung zurück, dass es keine Verletzung des
Grundrechts auf Koalitionsfreiheit ist, wenn Tarifautonomie
nur solchen Verbänden gewährt wird, die über eine
angemessene organisatorische Geschlossenheit und
Durchsetzungsfähigkeit verfügen und damit in der Lagesind, ihre Aufgaben unabhängig vom Wohlwollen der
Arbeitgeber und anderer Arbeitnehmergruppen zu
erfüllen. Die Anzahl der durch den Verband vertretenen
Mitarbeiter bestimme seine Verhandlungsfähigkeit und
seine organisatorische Effizienz. Sie liefere auch den
Nachweis, ob ein Verband genügend Druck aufbauen
könne, um Tarifverträge zu gewinnen und abzuschließen.
Die Verweigerung der Tarifverhandlungsfähigkeit von
Splitterverbänden ohne ausreichenden Organisationsgrad
stehe dazu nicht im Widerspruch. Im vorliegenden Fall habe
das LAG außerdem nicht mit Sicherheit feststellen können,
dass die Gewerkschaft ausreichend mächtig war.
(BVerfG, 13.09.2019 - 1 BvR 1/16)