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Distress signals: Cooperation agreements or mergers to the rescue?
The current volatile and unpredictable economic climate creates challenges for businesses.
Global | Publikation | Januar 2021
Im deutschen Kartellrecht sind am 19. Januar 2021 mit der 10. GWB-Novelle weit reichende Änderungen in Kraft getreten. Im Mittelpunkt der Neuerungen des im Kartellrechtsvolksmund so genannten GWB-Digitalisierungsgesetzes steht die Modernisierung des Kartellrechts in Zeiten der rasant zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft. Bedeutende Neuerungen gibt es überdies im Bereich der Fusionskontrolle, aber auch im Kartellschadensersatz-, Kartellverfahrens- und Kartellbußgeldrecht, letztere in weiten Teilen in Umsetzung EU-kartellrechtlicher Vorgaben der so genannten ECN+-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1 vom 11.12.2018).
Die wichtigsten Änderungen lassen sich wie folgt knapp zusammenfassen:
Im Einzelnen:
Zentrales Ziel der Änderungen der Missbrauchsaufsicht ist die bessere Kontrolle marktbeherrschender Digitalkonzerne sowie die stärkere Berücksichtigung der steigenden Bedeutung von Daten als Wertschöpfungs- und Wettbewerbsfaktor.
Hierzu wurde die marktanteilsunabhängige sog. „Intermediationsmacht“ als weiteres Kriterium für die Marktmachtanalyse eingeführt, um der Rolle der Marktmacht von Plattformen mit Vermittlungs- bzw. Steuerungsmacht in zweiseitigen Märkten besser Rechnung tragen zu können (§ 18 Abs. 3b und § 20 Abs. 1 n.F.).
Des Weiteren wird der Kriterienkatalog zur Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens in § 18 Abs. 3 n.F. um das Kriterium „Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten“ sowie das Verbot der Zugangsverweigerung um den Zugang zu Datensätzen marktbeherrschender Big-Data- oder Plattformunternehmen ergänzt (§ 19 Abs. 2 Nr. 4 n.F.).
Kernelemente neben den vorgenannten Änderungen sind zwei neue Eingriffstatbestände, die dem Bundeskartellamt ein im Vergleich zu den bisher geltenden Regelungen deutlich schärferes Schwert verleihen und zugleich frühzeitiges Eingreifen ermöglichen sollen:
Flankiert werden diese Neuerungen durch einen künftigen Anspruch auf Zugang zu bestimmten Daten auch im Bereich der relativen Marktmacht, wenn eine Zugangsverweigerung als unbillige Behinderung zu werten ist (§ 20 Abs. 1a GWB n.F.).
Im Fokus: Die 10. GWB-Novelle erkennt die gestiegene Relevanz von Daten im heutigen Wirtschaftsleben und wappnet sich für neue Herausforderungen durch die fortschreitende Digitalisierung. Die zahlreichen Neuerungen werden eine Vielzahl interessanter Fragen aufwerfen, nicht zuletzt, wie die neuen deutschen Missbrauchsvorschriften mit dem von der EU im Dezember 2020 vorgeschlagenen Digital Services Act harmonisieren.
Im Zentrum der Änderungen stehen signifikante Anhebungen der Inlandsumsatzschwellenwerte für eine fusionskontrollrechtliche Meldepflicht in Deutschland: Die erste Inlandsumsatzschwelle wird von 25 Millionen Euro auf 50 Millionen EUR, die zweite von bislang 5 Millionen Euro auf künftig 17,5 Millionen Euro angehoben. Durch die Anhebung der zweiten Inlandsumsatzschwelle wird die sog. Anschlussklausel in § 35 Abs. 2 S. 1 GWB a.F. obsolet.
Eine weitere weitreichende Neuerung ist die Einfügung des § 39a GWB n.F. Dieser ermächtigt das Bundekartellamt, Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen durch Verfügung dazu zu verpflichten, künftig jeden Zusammenschluss mit anderen Unternehmen anzumelden. Voraussetzung für eine solche Verfügung ist, dass (i) deren Adressat im letzten Geschäftsjahr einen Umsatz von weltweit 500 Million Euro erzielt hat, (ii) objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der wirksame Wettbewerb im Inland in einem bestimmten Wirtschaftszweig erheblich behindert werden könnte, (iii) die zusammenschließenden Unternehmen einen Anteil von mindestens 15 Prozent am Angebot oder an der Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen in Deutschland haben und (iv) das Bundeskartellamt zuvor in dem betroffenen Wirtschaftszweig eine Sektoruntersuchung durchgeführt hat. Ziel der Regelung ist die Verhinderung sog. „Killer-Akquisitionen“, bei denen der Erwerber ansonsten von der hohen zweiten Inlandsumsatzschwelle profitieren würde. Sie betrifft mithin insbesondere den Erwerb von Start-ups.
Darüber hinaus kommt es zu zahlreichen kleineren materiellen Änderungen:
Die Änderungen im Bereich der Fusionskontrolle werden zu einer Entlastung des Bundeskartellamtes führen. Überdies wird der Wegfall der Anmeldepflicht für eine Vielzahl – häufig unproblematischer – kleinerer Transaktionen und die damit verbundene Entbürokratisierung zu einer spürbaren Erleichterung insbesondere für mittelständische Unternehmen führen. Nach ersten Schätzungen dürfte die Zahl der jährlichen Fusionskontrollanmeldungen in Deutschland um ca. 30% sinken.
Ziel der Änderungen ist eine stärkere Fokussierung der behördlichen Kapazitäten auf komplexe, bzw. in Folge der zunehmenden Globalisierung aufwändigere Fälle, z.B. im Bereich der digitalen Wirtschaft aber auch in klassischen Wirtschaftszweigen.
Diese Neuausrichtung der Kapazitäten spiegelt sich konsequenterweise in der Verlängerung des Hauptprüfverfahrens von vier auf fünf Monate wieder (§ 40 Abs. 2 S. 2 GWB n.F.).
Im Fokus: Die auf der Zielgeraden des Gesetzgebungsverfahrens erfolgte signifikante Anhebung der Schwellenwerte kam in der vorliegenden Form und Höhe durchaus überraschend. Sie führt für zahlreiche Transaktionen zum Wegfall der Anmeldpflicht. Da das deutsche Recht anders als die Fusionskontrolle auf europäischer Ebene als Stichtag für die Feststellung einer Anmeldepflicht auf den Tag des Vollzugs einer Transaktion abstellt, gilt dies – sollten die beteiligten Unternehmen die neuen Umsatzschwellen nicht erreichen – auch für Zusammenschlussvorhaben, für die das Verpflichtungsgeschäft (der Kaufvertrag) abgeschlossen ist, die aber bislang nicht vollzogen worden sind. Ein Wort der Warnung geht an Nicht-EU/EWR-Investoren, die eine Investition im Inland tätigen wollen: Die Änderungen im Bereich der deutschen Fusionskontrolle haben keinerlei Auswirkungen auf die deutsche Investitionskontrolle. Deren Voraussetzungen gelten unverändert fort.
Änderungen im Bereich des Kartellschadensersatzes, bekanntlich der Fokus der letzten Novelle im Jahr 2017, fallen dieses Mal eher rar aus.
Inhaltliche jedoch durchaus interessante Nachjustierungen betreffen vornehmlich die Aufnahme von Vermutungswirkungen zugunsten von Klägern. Deren Unterstützung bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegen kartellbeteiligte Unternehmen wird damit auch nach 2017 fortgeschrieben:
Im Fokus: Mit der Einführung einer widerlegbaren Vermutung hat das Gesetz klargestellt, dass die Beweislast bei Kartellschadensersatzansprüchen bei den Beklagten liegt. Interessant auch: Die Vermutung der Beteiligung eines Kartellanten ist nicht auf direkte Lieferanten und Abnehmer beschränkt, sondern wird auch auf indirekte Abnehmer ausgedehnt. Die Neuregelungen erfolgen in Reaktion auf die Entscheidungen des BGH zum Schienenkartell (KZR 26/17 – Schienenkartell I, KZR 75/10 – Schienenkartell II).
Das Kartellbußgeld- und Verfahrensrecht wird durch die 10. GWB-Novelle umfassend neu geordnet und teilweise vereinfacht:
a) Bußgeldrecht
Im Bußgeldbereich stehen Ausdifferenzierung der Bußgeldtatbestände im Mittelpunkt der Novelle. Die bislang zentralen Regelungen in § 81 GWB werden nunmehr in §§ 81-81g GWB n.F. neu geordnet und zum Teil erheblich ergänzt.
Dies betrifft insbesondere die Vorschriften zur Berechnung von Geldbußen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen (§§ 81a-c GBW n.F.) und die Bußgeldzumessung: Nach § 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 4 GWB n.F.: kommen bei der künftigen Bußgeldzumessung als mildernde Umstände „vor der Zuwiderhandlung getroffene, angemessene und wirksame Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ in Betracht. Überdies kann künftig das Nachtatverhalten von Unternehmen bei der Zumessung der Geldbuße Berücksichtigung finden (§ 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 5 GWB n.F.).
Neu – und aus rechtsstaatlicher Sicht begrüßenswert – ist die gesetzliche Verankerung der Kronzeugenregelungen (§§ 81h-81n GWB n.F.), ein Bereich, der bislang lediglich durch Leitlinien des Bundeskartellamts geregelt ist.
b) Verfahrensrecht
In verfahrensrechtlicher Sicht kommt es zu Klarstellungen und partiellen Ausweitungen der Ermittlungs- und Verfügungsbefugnisse der Kartellbehörden, etwa in Bezug auf Beschlagnahmerechte sowie hinsichtlich des Umfangs und der Adressaten von Auskunftsverlangen (§§ 57-62 GWB n.F.). Besonders bemerkenswert ist, dass das in § 59 Abs. 5 GWB a.F. geregelte uneingeschränkte Auskunftsverweigerungsrecht abgeschafft wird. Stattdessen müssen natürliche Personen nach § 59 Abs. 3 S. 3 GWB n.F. im Falle einer ansonsten schwierigen Informationserlangung auch Tatsachen offenbaren, welche zu einer Verfolgung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit führen können. Als Ausgleich wird in § 59 Abs. 3 S. 4 GWB n.F. ein prinzipielles Beweisverwendungsverbot für ein gegen die auskunftsverpflichtete Person oder einen ihrer engen Angehörigen gerichtetes Strafverfahren oder Verfahren nach dem GWB oder OWiG normiert (sog. „Verwendungsbeschränkung“).
Weitere Neuerungen betreffen das Akteneinsichtsrecht im Kartellverwaltungs- und Kartellordnungswidrigkeitenverfahren (§ 56 Abs. 3 bis 5 GWB n.F.), eine Ausweitung der Befugnisse der zuständigen Kartellbehörde im gerichtlichen Kartellbußgeldverfahren (vgl. §§ 82a Abs. 1, 83 Abs. 1 GWB n.F.) sowie eine Absenkung der Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen. § 32a Abs. 1 GWB n.F. ermöglicht dem Bundeskartellamt künftig ein schnelleres und effektiveres Eingreifen.
Für Diskussionsstoff sorgt abschließend ein neuer Anspruch von Unternehmen, der zu mehr Rechtssicherheit von horizontalen Kooperationen führen soll und eine Ausnahme zum grundsätzlich weiterhin geltenden Prinzip der Selbsteinschätzung darstellt: Künftig können Wettbewerber innerhalb von sechs Monaten vom Bundeskartellamt eine Entscheidung darüber verlangen, ob dieses im Hinblick auf eine Wettbewerberkooperation einen Anlass zum Tätigwerden sieht. Voraussetzung hierfür ist ein erhebliches rechtliches und wirtschaftliches Interesse der Parteien (§ 32c Abs. 4 GWB n.F.).
In der Praxis wird sich zeigen, ob dieser Anspruch einen tatsächlichen Mehrwert bringt, ist es doch bereits heute möglich, die Zulässigkeit solcher Kooperationen auf informellem Wege mit dem Bundeskartellamt abzustimmen. Ob die Einführung eines formalisierten fristgebundenen Verfahrens hier wirklich hilfreich ist, muss sich zeigen.
Im Fokus: Die 10. GWB-Novelle nimmt begrüßenswerte Klarstellungen im Bereich des Bußgeldrechts vor.
Verfahrensrechtliche Änderungen erweitern die Befugnisse des Bundeskartellamts im Rahmen kartellrechtlicher Ermittlungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren. Aus rechtsstaatlicher Sicht verspricht die Anwendung dieser neuen Vorschriften in der Praxis Spannung, insbesondere die teilweise Abschaffung des Auskunftsverweigerungsrechts und das Zusammenspiel mit der neu normierten Verwendungsbeschränkung.
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