Der Bundestag hat am Freitag, 17. November 2023, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen, kurz: „Zukunftsfinanzierungsgesetz“, verabschiedet. Der Bundesrat muss dem vom Bundestag beschlossenen Gesetzentwurf noch abschließend zustimmen. Nach derzeitigem Planungsstand ist davon auszugehen, dass das Zukunftsfinanzierungsgesetz in seinen wesentlichen Teilen noch vor Jahresende in Kraft treten wird.
Erklärtes Ziel dieses Gesetzesvorhabens ist es, die Leistungsfähigkeit des deutschen Kapitalmarkts zu stärken und die Attraktivität des deutschen Finanzstandorts zu erhöhen. Insbesondere Start-ups, Wachstumsunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) soll der Zugang zum Kapitalmarkt und die Aufnahme von Eigenkapital erleichtert werden. Die Bundesregierung verfolgt damit das ehrgeizige Ziel, Deutschland zum führenden Standort für Start-ups und Wachstumsunternehmen zu machen.
Die wesentlichen gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Änderungen im Überblick:
Mehrstimmrechtsaktien
Eine echte Neuerung ist die Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien. Während im derzeitigen deutschen Aktienrecht der Grundsatz „one share, one vote“ gilt, soll es Aktiengesellschaften zukünftig wieder ermöglicht werden, Mehrstimmrechtsaktien auszugeben, die mehrere Stimmrechte je Aktie gewähren. Auch die Schaffung mehrerer paralleler Gattungen von Mehrstimmrechtsaktien mit unterschiedlichen Mehrstimmrechten sind nach dem Gesetzentwurf möglich.
Diese Neuerung soll insbesondere Wachstumsunternehmen und Start-ups eine flexiblere Gestaltung ermöglichen, wie dies bereits in vielen anderen Rechtsordnungen möglich ist: Gründer können so beispielsweise auch nach einem Börsengang und dem damit einhergehenden Verlust der Kapitalmehrheit weiterhin die operative Kontrolle über das Unternehmen behalten.
Dem durch das Auseinanderfallen von Stimmrecht und Kapitalbeteiligung offensichtlich entstehenden Spannungsverhältnis zu Lasten der nicht mit Mehrstimmrechten ausgestatteten Aktionäre versucht der Gesetzentwurf durch eine Reihe von eindämmenden Mechanismen zu begegnen:
Zum einen ist eine Begrenzung der Mehrstimmrechte auf höchstens das Zehnfache gegenüber einer Stammaktie vorgesehen und ist damit nicht uferlos zulässig. Zum anderen soll insbesondere die Beschlussfassung der Hauptversammlung zur Ausstattung oder Ausgabe von Aktien mit Mehrstimmrechten die Zustimmung sämtlicher „betroffenen“ Aktionäre erfordern. Dies bedeutet in der Regel letztlich ein Zustimmungserfordernis sämtlicher Aktionäre, da sowohl diejenigen Aktionäre, deren Aktien mit Mehrstimmrechten ausgestattet werden sollen, als auch alle anderen Aktionäre von einer Verschiebung des Stimmrechtsverhältnisses und damit in ihrem Stimmrecht betroffen sind. Wesentliche Folge ist daher, dass Mehrstimmrechte nicht gegen den Willen eines betroffenen Aktionärs geschaffen werden können. Stimmrechtslose Vorzugsaktien sind demgegenüber nicht von einer Verschiebung des Stimmrechtsverhältnisses „betroffen“. Da ihr Vorzug unangetastet bleibt, ist nur insoweit keine Zustimmung erforderlich.
Wie sehr die Einführung der Mehrstimmrechte konzeptionell auf Start-ups und Wachstumsunternehmen zugeschnitten ist, zeigt sich zudem an Folgendem: Bei börsennotierten Gesellschaften sowie Gesellschaften, deren Aktien in den Handel im Freiverkehr einbezogen sind (im Freiverkehr notierte Gesellschaften sind keine börsennotierten Gesellschaften im Sinne des Aktienrechts), erlöschen die Mehrstimmrechte im Fall der Übertragung der Mehrstimmrechtsaktien. Hintergrund dieser Regelung ist, dass die bisherigen Gesellschafter – im Umfang der Übertragung der Mehrstimmrechtsaktien – nicht mehr an der Entwicklung des Unternehmens teilnehmen. Damit entfällt durch eine solche Übertragung der Aktien der Zweck der Mehrstimmrechte, ihren (bisherigen) Inhabern auch nach dem Börsengang in der Wachstumsphase weiterhin eine Kontrolle über die Unternehmensstrategie zu ermöglichen.
Schließlich sind die Mehrstimmrechte auch zeitlich befristet und erlöschen spätestens zehn Jahre nach Börsennotierung der Gesellschaft oder Einbeziehung der Aktien in den Handel im Freiverkehr. Es besteht jedoch eine einmalige Verlängerungsoption: Frühstens ein Jahr vor Fristablauf kann die Hauptversammlung mit Dreiviertelmehrheit einen Beschluss über die Verlängerung der Mehrstimmrechte für erneut maximal zehn Jahre fassen.
Beim Erlöschen von Mehrstimmrechten reduziert sich die Gesamtzahl der Stimmrechte an der jeweiligen Gesellschaft, was zu einer Verschiebung des Stimmgewichts und einem Überschreiten der übernahmerechtlichen Kontrollschwelle führen kann. Das Übernahmerecht kennt jedoch bereits die Verringerung der Gesamtzahl der Stimmrechte als Befreiungstatbestand und ermöglicht es betroffenen Aktionären, in derartigen Fällen eine Befreiung von den übernahmerechtlichen Pflichten (Kontrollerwerbsmitteilung, Pflichtangebot) zu beantragen – dieser Antrag muss allerdings aktiv bei der BaFin gestellt werden.
Weitere wesentliche Neuerungen und Erleichterungen sind in Bezug auf Kapitalerhöhungen vorgesehen:
Erhöhung der Grenze für vereinfachten Bezugsrechtsausschluss von 10 auf 20 Prozent
Grundsätzlich hat jeder Aktionär das Recht, bei Kapitalerhöhungen zur Wahrung seiner bisherigen Beteiligungsquote eine entsprechende Anzahl der neu ausgegebenen Aktien zu zeichnen. Allerdings sieht das Aktienrecht bislang die Möglichkeit eines vereinfachten Ausschlusses dieses Bezugsrechts vor, wenn die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen erfolgt, 10 Prozent des Grundkapitals nicht überschreitet und der Ausgabebetrag der neuen Aktien den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet. Die Möglichkeit eines solchen „Zehnprozenters“ wird von Unternehmen häufig bei einem kurzfristigen Kapitalbedarf in Anspruch genommen, weil er schnell und einfach durchzuführen ist. Zukünftig soll Aktiengesellschaften noch mehr Flexibilität bei der Kapitalbeschaffung gewährt werden, indem die Grenze beim vereinfachten Bezugsrechtsausschluss von bisher 10 Prozent des Grundkapitals auf 20 Prozent angehoben wird. Die Bundesregierung reagiert damit auch auf entsprechende Forderungen aus der Wirtschaft. Bislang können die Verwaltungsorgane und Investoren deutscher Aktiengesellschaften insoweit nur neidvoll über die Grenze, z.B. nach Luxemburg und Frankreich, blicken – dort ist die 20 Prozent-Regel schon länger etabliert.
Erhöhung der Grenze für bedingtes Kapital für Unternehmenszusammenschlüsse von 50 auf 60 Prozent
Der Gesetzentwurf sieht zudem eine Änderung in Bezug auf die Schaffung von bedingtem Kapital vor, mit der Aktiengesellschaften eine größere Flexibilität und mehr Spielraum beim Zusammenschluss mit anderen Gesellschaften gewährt werden soll. Bislang sieht das Aktienrecht vor, dass die Hauptversammlung zur Vorbereitung des Zusammenschlusses mehrerer Unternehmen bedingtes Kapital bis zur Hälfte des zur Beschlussfassung vorhandenen Grundkapitals schaffen kann, wobei die bedingte Kapitalerhöhung dann nur insoweit durchgeführt wird, wie von einem im Rahmen der Durchführung des Unternehmenszusammenschlusses gewährten Umtausch- oder Bezugsrecht auch tatsächlich Gebrauch gemacht wird. Vor dem Hintergrund, dass die bestehende Grenze von 50 Prozent im Vergleich zum flexibleren Recht anderer Jurisdiktionen als Hindernis und somit letztlich als Wettbewerbsnachteil kritisiert wird, sieht der Gesetzentwurf nun eine Anhebung dieser Grenze auf zukünftig 60 Prozent des Grundkapitals vor.
Erhöhung der Grenze für bedingtes Kapital für Mitarbeiterbeteiligungen von 10 auf 20 Prozent
Ebenfalls mit Blick auf die Möglichkeiten in anderen Rechtsordnungen, vor allem in den USA, enthält der Gesetzentwurf eine Anhebung der Grenze für Bezugsrechte von Arbeitnehmern und Mitgliedern der Geschäftsführung von 10 Prozent auf 20 Prozent des Grundkapitals. Der Gesetzentwurf reagiert damit auf die zunehmende Bedeutung von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen, die es insbesondere Wachstumsunternehmen und Start-ups ermöglichen sollen, ihren Mitarbeitern und Führungskräften ohne Liquiditätsabfluss eine im Vergleich zu etablierten Unternehmen wettbewerbsfähige Vergütung zu bezahlen und eine langfristige Bindung an das Unternehmen zu fördern.
Spruchverfahren bei Streitigkeiten über die Höhe des Ausgabebetrages bei Kapitalerhöhungen
Streitigkeiten über die Angemessenheit der Höhe des Ausgabebetrags neuer Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung sollen dem Anfechtungsverfahren künftig entzogen und ausschließlich dem Spruchverfahren zugewiesen werden.
Hintergrund dieser Regelung ist, dass die zügige Durchführung einer Kapitalerhöhung bislang oftmals aufgrund einer Anfechtung des Kapitalerhöhungsbeschlusses und der hierdurch ausgelösten Registersperre nicht möglich ist.
Vorgesehen ist nun, dass die Anfechtung bei Kapitalerhöhungen gegen Einlagen insbesondere nicht auf die Behauptung eines zu niedrigen Ausgabebetrags gestützt werden kann. Mit Ausnahme der Fälle des beschriebenen vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses (zukünftig „Zwanzigprozenter“) sollen vom Bezugsrecht ganz oder teilweise ausgeschlossene Aktionäre im Falle einer Unangemessenheit des Ausgabebetrages eine Ausgleichszahlung in bar oder ggf. durch Aktien erhalten, was auch noch nach erfolgter Durchführung der Kapitalerhöhung möglich ist.
In den Fällen des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses soll es nach der Gesetzesbegründung für die vom Bezugsrecht ganz oder teilweise ausgeschlossenen Aktionäre demgegenüber dabei bleiben, dass das ausgeschlossene Bezugsrecht aufgrund der notwendigen Anbindung der Ausgabe der neuen Aktien an den „nicht wesentlich“ zu unterschreitenden Börsenkurs durch eine faktische Zukaufsmöglichkeit über die Börse im Allgemeinen kompensiert werden kann.
Börsenmantelgesellschaften zum Zweck der Börsenzulassung / „SPACs“
Ebenfalls dem Vorbild anderer Rechtsordnungen folgend sieht der Gesetzentwurf Regelungen für die Schaffung einer besonderen Rechtsform einer Aktiengesellschaft ohne eigenes operatives Geschäft vor. Derartige Börsenmantelgesellschaften werden gegründet, um über ihren Börsengang Kapital einzusammeln und hiermit ein im Zeitpunkt des Börsengangs noch nicht festgelegtes nicht-börsennotiertes Unternehmen zu übernehmen und dieses mittelbar an die Börse zu bringen. Derartige Special Purpose Acquisition Companies (SPACs) erlebten 2020 und 2021 vor allem in den USA eine Hochphase, in der die sogenannten de-SPAC-Transaktionen als attraktive und vor allem schnellere Alternative zu traditionellen IPOs gesehen wurden. Obwohl dieser Trend auch an Deutschland nicht gänzlich vorbei gegangen ist, gab es hierzulande in der Vergangenheit letztlich nur eine Handvoll derartiger am SPAC-Modell orientierten Emissionen, ohne dass hierfür eigene Regelungen existierten. An dieser Regelungslücke setzt der Gesetzentwurf an.
Während zwischenzeitlich weltweit Hunderte SPACs nach geeigneten Übernahmezielen suchten, hat sich der SPAC-Boom vor allem in den USA seither wieder deutlich abgekühlt. Es bleibt daher abzuwarten, inwieweit die geplanten Regelungen des Gesetzentwurfs in Deutschland auf fruchtbaren Boden fallen werden.
Einführung elektronischer Aktien
Eine echte technische Neuerung ist im Gesetzentwurf auch durch die Einführung elektronischer Aktien vorgesehen, mit der die Digitalisierung am Kapitalmarkt vorangetrieben werden soll. So soll mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz das deutsche Aktienrecht und das Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) für elektronische Aktien geöffnet werden: einerseits für elektronische Namensaktien, die in ein zentrales Register oder - sofern die Satzung diese zulässt - in ein Kryptowertpapierregister einzutragen sind, sowie andererseits für elektronische Inhaberaktien, die in ein zentrales Register eingetragen werden.
Aktiengesellschaften sollen damit künftig die Wahl haben, ob sie ihre Anteile wie bisher als verbriefte Aktien oder als elektronische Aktien begeben. Faktisch unterscheiden sich elektronische Aktien von herkömmlichen Aktien dadurch, dass sie nicht verbrieft sind, sondern stattdessen in ein elektronisches Wertpapierregister eingetragen werden – eine eigene Aktienart bilden elektronische Aktien damit nicht, sondern lediglich eine neue, elektronische Begebungsform.
Regulatorische Erleichterungen beim Börsengang
Schließlich enthält der Gesetzentwurf auch Erleichterungen in Bezug auf den Kapitalmarktzugang. So soll die Mindestmarktkapitalisierung für einen Börsengang von derzeit EUR 1,25 Mio. auf zukünftig EUR 1 Mio. gesenkt werden, was insbesondere Wachstumsunternehmen und Start-ups zugutekommen würde.
Darüber hinaus soll vor allem mit Blick auf die Einsparung der mit dem Börsengang verbundenen Kosten die Verpflichtung für Emittenten entfallen, den Börsenzulassungsantrag gemeinsam mit einem Emissionsbegleiter, beispielsweise einer Bank, als Mitantragsteller stellen zu müssen.
Fazit
Auch wenn man das erklärte Ziel der Bundesregierung, Deutschland zum führenden Standort für Start-ups und Wachstumsunternehmen zu machen, sicherlich als ambitioniert bezeichnen darf, sieht der Gesetzentwurf eine Reihe Maßnahmen vor, die insbesondere Start-ups, Wachstumsunternehmen sowie KMU den Kapitalmarktzugang und die Eigenkapitalaufnahme erleichtern sollen. Insgesamt sieht der Gesetzesentwurf begrüßenswerte Erleichterungen vor allem bei der Kapitalbeschaffung vor, die bereits in anderen Rechtsordnungen existieren und gelebte Marktpraxis sind. Neben der Einführung von Mehrstimmrechten dürfte insbesondere die Erhöhung der Obergrenze für den vereinfachten Bezugsrechtsausschluss von 10 auf 20 Prozent eine spürbare Maßnahme sein, um deutsche Aktiengesellschaften im internationalen Vergleich konkurrenzfähiger zu machen.
Nachdem der Entwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes nunmehr im Bundestag durch ein breites Bündnis aus SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP verabschiedet wurde, muss der Bundesrat dem Gesetzentwurf noch zustimmen. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens hatte die Länderkammer in ihrer Stellungnahme zahlreiche Änderungen am Regierungsentwurf gefordert, die in dem nun vom Bundestag beschlossenen Gesetzentwurf teilweise berücksichtigt wurden.
Sofern der Gesetzentwurf schließlich wie geplant mit der Zustimmung des Bundesrats auch die letzte parlamentarische Hürde nimmt, würde das Zukunftsfinanzierungsgesetz in seinen wesentlichen Teilen noch vor Jahresende, am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt, in Kraft treten.