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Die Kunst des Streitens
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Deutschland | Publikation | Oktober 2025
Die Klägerin, eine nach iranischem Recht gegründete Bank mit Sitz in Teheran, betreibt eine Zweigniederlassung in München und unterliegt der Aufsicht der BaFin. Im Juni 2019 eröffnete sie bei einer Volksbank ein Wertpapierdepot und erwarb Wertpapiere im Wert von rund 10,5 Millionen Euro. Die Verwahrung erfolgte über eine mehrgliedrige Verwahrkette, an der mehrere Depotbanken beteiligt sind und an deren Ende die Clearstream Banking AG, die einzige in Deutschland zugelassene Wertpapiersammelbank, steht.
Im August 2019 buchte Clearstream die Wertpapiere der Klägerin auf ein Sperrkonto um. Hintergrund der Maßnahme war die Aufnahme der Klägerin auf die Specially Designated Nationals and Blocked Person List (SDN-Liste) des Office of Foreign Assets Control (OFAC) der USA, die Personen und Organisationen mit Verbindungen zu sanktionierten Staaten wie dem Iran aufführt. Infolge der Umbuchung und der hiermit verbundenen Blockade konnte die Klägerin nicht mehr über ihre Wertpapiere verfügen. Anfang Januar 2020 beschloss die US-Regierung mit Wirkung zum Oktober 2020 sog. Sekundärsanktionen gegen Personen, die Geschäftsbeziehungen mit Personen unterhalten, die auf der SDN-Liste stehen. Diese Sekundärsanktionen umfassen neben Strafzahlungen auch Zugangsbeschränkungen zum US-Finanzmarkt. Der Versuch der Klägerin, die von ihr gehaltenen Wertpapiere im Januar 2020 zu veräußern, scheiterte daran, dass Clearstream sich weigerte, Weisungen zu diesen Wertpapieren entgegenzunehmen.
Die Klägerin machte daraufhin Schadensersatz gegen Clearstream geltend – gestützt auf die Verletzung des Depotvertrags zwischen Clearstream und einer in der Verwahrkette beteiligten Bank (einschließlich einer behaupteten Schutzwirkung dieses Vertrags zugunsten der Klägerin), auf Art. 6 der EU-Blocking-Verordnung sowie auf eine Eigentumsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB. Clearstream berief sich darauf, dass zwischen ihr und der Klägerin kein Vertragsverhältnis bestehe. Zudem vertrat sie die Auffassung, dass der Anwendungsbereich der EU-Blocking-Verordnung nicht eröffnet gewesen sei und keine Eigentumsverletzung vorliege, da der Verlust lediglich einer bestimmten Nutzungsmöglichkeit nicht von § 823 BGB erfasst werde.
Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Frankfurt hatten die Klage weitgehend abgewiesen.
Der BGH hob das Urteil des OLG Frankfurt auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des OLG Frankfurt zurück. Dabei stützt der BGH seine Entscheidung insbesondere auf die folgenden Erwägungen:
Kein vertraglicher Schadensersatzanspruch
Wie das OLG Frankfurt lehnt auch der BGH vertragliche Ansprüche der Klägerin ab, da zwischen ihr und Clearstream kein unmittelbares Vertragsverhältnis bestehe. Die Verträge entlang der Verwahrkette seien von den beteiligten Banken jeweils unabhängig voneinander geschlossen worden und der Vertrag zwischen der Klägerin und der Volksbank beschränke sich auf deren bilaterale Beziehung. Auch handele es sich bei dem zwischen Clearstream und ihrer direkten Vertragspartnerin innerhalb der Verwahrkette geschlossenen Vertrag nicht um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Der BGH begründet dies damit, dass das System der Drittverwahrung von Wertpapieren das Wertpapierhandelssystem vereinfachen soll und es daher nicht erlaube, die Schutzpflichten aus den einzelnen Depotverträgen auf den ursprünglichen Hinterleger zu erstrecken.
Kein Anspruch aus Art. 6 EU-Blocking-VO
Sowohl das OLG Frankfurt als auch der BGH verneinen die Einschlägigkeit des europarechtlichen Schadensersatzanspruchs des Art. 6 EU-Blocking-VO, allerdings aus unterschiedlichen Gründen: Während das OLG Frankfurt die Vorschrift mangels Nachweises, dass Clearstream aus Gründen der US-Sekundärsanktionen die Verkaufsaufträge blockiert habe, für nicht anwendbar hielt (kein Nachweis einer sog. Anwendungshandlung im Sinne des Art. 5 EU-Blocking-VO), lässt der BGH den Anspruch auf der subjektiven Ebene scheitern. Die Klägerin sei keine juristische Person i.S.v. Art. 11 EU-Blocking-VO, „die in der Gemeinschaft eingetragen“ sei. Die von ihr in Deutschland betriebene Zweigniederlassung einer iranischen Bank sei nicht mit einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit ausgestattet und daher nicht anspruchsberechtigt.
Eigentumsschutz nach § 823 Abs. 1 BGB
Im Gegensatz zum OLG Frankfurt erkennt der BGH jedoch eine grundsätzliche deliktische Haftung der Clearstream nach § 823 Abs. 1 BGB an. Clearstream habe durch das Einfrieren der Wertpapiere der Klägerin auf einem Sperrkonto das Eigentum – bzw. im Falle der ausländischen Wertpapiere ein sonstiges Recht – der Klägerin an ihren Wertpapieren verletzt. Dies begründet der BGH damit, dass der Klägerin durch das Einfrieren der bestimmungsgemäße Gebrauch der Wertpapiere, insbesondere die Vereinnahmung von Zinserträgen, entzogen worden sei.
Rechtfertigung durch US-Sanktionen – Öffnung für Verhältnismäßigkeitsprüfung
Die eigentliche Brisanz des Urteils besteht in der Auseinandersetzung mit der Frage, ob drohende US-Sekundärsanktionen eine Rechtfertigung für eine Eigentumsverletzung darstellen können. Der BGH schließt eine solche Rechtfertigung nicht grundsätzlich aus, sondern verlangt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Denn, so der BGH, obwohl aufgrund der EU-Blocking-VO europäischen Wirtschaftsteilnehmern die Befolgung von US-Sanktionen untersagt sei, könne eine Abwägung ergeben, dass im konkreten Fall die Befolgung der EU-Blocking-VO nicht zumutbar sei.
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung seien insbesondere die folgenden Aspekte zu berücksichtigen:
Diese Prüfung orientiert sich an der Rechtsprechung des EuGH, der im Fall Telekom ./. Bank Melli Iran (Urteil vom 21. Dezember 2021 – C-124/20) die Möglichkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung aufgrund von US-Sekundärsanktionen zuließ. Der BGH greift die vom EuGH zugelassene Verhältnismäßigkeitsprüfung auf und schafft die Grundlage, sie im Rahmen der Prüfung einer möglichen Rechtfertigung einer deliktischen Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB heranzuziehen.
Im vorliegenden Fall waren die US-Sekundärsanktionen zum maßgeblichen Zeitpunkt im Januar 2020 jedoch noch nicht in Kraft. Der BGH gelangt in seinem Urteil daher zu der Einschätzung, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung keine Rechtfertigung für die Maßnahme der Clearstream hätte begründen können.
Offene Fragen
Mangels Feststellungen des OLG Frankfurt in der Berufungsinstanz, ob Clearstream auch schuldhaft gehandelt hat und ob die Umbuchung und die damit verbundene Blockade der klägerischen Wertpapiere durch Clearstream kausal für die Nichtausführung der Verkaufsaufträge war, konnte der BGH den Rechtsstreit nicht final entscheiden. Dies hat nun das OLG Frankfurt im Zuge der erneuten Verhandlung nachzuholen.
Unabhängig davon hat der BGH die EU-Blocking-VO im konkreten Fall für nicht anwendbar erklärt, wodurch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den materiellen Anspruchsvoraussetzungen des Art. 6 EU-Blocking-VO ausblieb. Die im ersten Artikel aufgezeigten Problemfelder zu Kausalität, Verschulden und Schaden im Rahmen dieses europarechtlichen Schadensersatzanspruchs bleiben somit weiterhin offen.
Mit seinem Urteil stärkt der BGH die Rechtsposition von EU-Unternehmen im Umgang mit dem lange als unauflösbar geltenden Dilemma zwischen US-Sekundärsanktionen und der EU-Blocking-VO, indem er es ihnen unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, sich auf drohende US-Sanktionen zu berufen.
Für die Praxis bedeutet dies eine zunehmende Komplexität in der rechtlichen Bewertung von Sanktionen und deren Auswirkungen auf die zivilrechtliche Haftung. EU-Unternehmen sind gefordert, sich nicht nur mit den Vorgaben der EU-Blocking-VO vertraut zu machen, sondern auch mit den Anforderungen an eine tragfähige Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Entscheidung des BGH dürfte daher nicht das letzte Wort in dieser Debatte sein, sondern vielmehr der Auftakt zu einer differenzierten rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld zwischen europäischem und US-amerikanischem Sanktionsrecht.
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Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 haben westliche Staaten umfassende Sanktionen gegen Russland verhängt, wobei die EU ihr Sanktionsregime konsequent fortsetzt.
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Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in der Rechtssache Sony v. Datel (BGH, 31.07.2025 – I ZR 157/21, Action Replay II) (das „Urteil”) klärt eine bislang umstrittene Frage: Wann stellt die Manipulation von RAM-Daten eine urheberrechtsrelevante Bearbeitung von Software dar?
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