Der Wettbewerb im Pharmasektor ist stark ausgeprägt, wobei der Schutz von Innovationen aufgrund hoher Forschungs- und Entwicklungskosten essenziell ist. Besonders im Bereich seltener Erkrankungen besteht ein erhöhter Schutzbedarf, da hier die wirtschaftlichen Risiken besonders hoch sind. Die Verordnung (EG) Nr. 141/2000 („Orphan Drug-VO“) gewährt deshalb für Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen („Orphan Drug“) eine Marktexklusivität, deren Reichweite und rechtliche Wirkung derzeit dem Europäischen Gerichtshof zur Bestimmung vorliegen.
Innovations- und Investitionsschutz
Für Pharmaunternehmen ist die Verteidigung ihrer Marktposition und der Schutz ihrer Produkte von existenzieller Bedeutung, insbesondere angesichts der enormen Kosten für Forschung und Entwicklung, die generiert werden müssen. Der Gesetzgeber hat dem besonderen Bedürfnis des pharmazeutischen Sektors nach Innovationsschutz Rechnung getragen und spezifische Regelungen im Patentrecht sowie im Bereich des Unterlagenschutzes etabliert.
Besonders wichtig ist der Innovationsschutz im Bereich der seltenen Erkrankungen. Unternehmen, die Arzneimittel zur Behandlung sogenannter „Orphan Diseases“ erforschen, sind aufgrund der im Verhältnis zur geringen Patientenzahl oft überproportional hohen Forschungs- und Entwicklungskosten besonders schutzbedürftig. Jede Verschreibung einer Orphan Drug hat für das Unternehmen einen erheblichen wirtschaftlichen Wert, sodass bereits einzelne Rechtsverletzungen gravierende Schäden verursachen können.
Die speziell für diesen Bereich geltende Verordnung Orphan Drug-VO gewährt den forschenden Pharmaunternehmen eine sogenannte „Marktexklusivität“. Deren Reichweite und rechtliche Wirkung sind Gegenstand intensiver gerichtlicher Auseinandersetzungen (LG München I, 25.10.2024 – 21 O 10225/23, Eculizumab II). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird abschließend klären müssen, welche Ansprüche die Marktexklusivität dem Inhaber tatsächlich an die Hand gibt.
Überblick über bestehende Schutzmechanismen
Patentrecht – das ergänzende Schutzzertifikat
Patentrechtlich geschützte Erfindungen belohnen die forschende sowie erfinderische Tätigkeit und bilden für Pharmaunternehmen regelmäßig deren wirtschaftlich wertvollste Assets. Die durch Patente vermittelten Ausschließlichkeitsrechte stellen die Amortisierung der entstandenen Forschungskosten durch eine zeitlich begrenzte exklusive Vermarktung der jeweiligen Arzneimittel sicher.
Im Pharmabereich besteht die Besonderheit, dass die Patentanmeldung, und damit der Beginn der 20-jährigen Laufzeit, in der Regel lange vor der tatsächlichen Marktzulassung des jeweiligen Arzneimittels erfolgt. Die durch das Patentrecht gewährte Exklusivität würde dadurch auf eine Laufzeit verringert, die nicht die Forschungs- und Entwicklungskosten ausreichend amortisieren könnte. Als Ausgleich wurde das sog. ergänzende Schutzzertifikat (Supplementary Protection Certificate – „SPC“) geschaffen. Mit dem SPC kann der Patentschutz des zugelassenen Arzneimittels um bis zu 5 Jahre über die Patentlaufzeit hinaus verlängert werden. Der Patentinhaber kann somit über das Ende des Patentschutzes hinaus sein Exklusivitätsrecht für das Arzneimittel geltend machen.
Verwendungspatent
Neben dem SPC sieht das Patentrecht auch zusätzliche Patentierungsmöglichkeiten im pharmazeutischen Bereich vor. Steht der Patentierbarkeit eines bereits bekannten Stoffes regelmäßig die fehlende Neuheit entgegen, gilt dies jedoch nicht, wenn die Verwendung des bekannten Stoffes für einen bisher unbekannten therapeutischen Zweck entdeckt wird (sog. Verwendungspatent). Diese zusätzliche Patentierungsmöglichkeit soll einen Anreiz bieten, dass auch bekannte (und damit eigentlich nicht mehr patentierbare) Stoffe auf ihre (weitere) therapeutische Eignung hin erforscht werden. Die auf Basis dieser Ausnahme erteilten Patente sind in ihrem Schutzbereich auf die Verwendung zur Behandlung des bestimmten (neu entdeckten) Anwendungsgebiets beschränkt.
Weitere IP-Schutzrechte
Neben dem Patent als zentrales und wichtigstes Ausschließlichkeitsrecht für Arzneimittel zählen auch Gebrauchsmuster, Marken und Designs zu den gewerblichen (Register-)Schutzrechten. Im Bereich des geistigen Eigentums gewähren außerdem Geschäftsgeheimnisse (oftmals auch als Know-how bezeichnet), das Urheberrecht sowie der durch Lauterkeitsrecht vermittelte ergänzende wettbewerbliche Leistungsschutz weitere Abwehrrechte.
Auf der Grundlage dieser weiteren Schutzrechte ist z.B. ein Vorgehen gegen Arzneimittelfälschungen möglich. Besondere pharmaspezifische Ausprägungen wie im Patentrecht gibt es bei diesen Schutzrechten allerdings nicht.
Unterlagenschutz
Der Unterlagenschutz setzt sich zusammen aus der Daten- und Vermarktungsexklusivität sowie einem zusätzlichen Marktschutz, sofern eine weitere Indikation des betreffenden Arzneimittels mit bedeutsamem klinischem Nutzen zugelassen wird. Der Unterlagenschutz soll die langwierige und kostenintensive Durchführung von klinischen Studien durch die forschenden Pharmaunternehmen belohnen. Generikaunternehmen führen solche Studien in der Regel nicht durch, sondern nehmen im Rahmen des Zulassungsverfahrens Bezug auf die klinischen Daten der forschenden Pharmaunternehmen.
Die Datenexklusivität räumt dem Zulassungsinhaber - für den Zeitraum von 8 Jahren ab Marktzulassung - das Recht ein, generischen Zulassungsantragsstellern die Bezugnahme auf die Zulassungsdaten des eigenen Arzneimittels (sog. Referenzarzneimittel) zu verweigern. Aufgrund der dadurch fehlenden präklinischen und klinischen Daten kann das Generikaunternehmen, wenn es keine eigenen Studien durchführt und die Ergebnisse des Zulassungsinhabers nicht verwerten darf, keine Daten für den Zulassungsantrag vorlegen und folglich keine Zulassung beantragen. Man spricht im Rahmen der Datenexklusivität daher auch von einem Verwertungsschutz.
Für den Zeitraum von 10 Jahren ab dessen Marktzulassung besteht daneben ein Vermarktungsschutz für das Referenzarzneimittel. Der Zulassungsinhaber kann die Vermarktung eines Generikums, das für die Zulassung auf die Daten des Referenzarzneimittels Bezug nimmt, auf Grundlage des Vermarktungsschutzes untersagen. Mithin stellt der Vermarktungsschutz eine zweite Hürde für den Markteintritt eines Generikums dar, da selbst nach Auslaufen der Datenexklusivität und der Zugänglichmachung der klinischen Daten das Generikum noch nicht vertrieben werden kann.
Der Unterlagenschutz kann um ein weiteres Jahr verlängert werden, wenn innerhalb der Datenexklusivität das Referenzarzneimittel für ein weiteres Therapiegebiet zugelassen wird. Voraussetzung ist, dass im Zulassungsverfahren ein bedeutsamer klinischer Zusatznutzen im Vergleich zur bestehenden Indikation festgestellt wird.
Aufgrund der Schutzdauer der durch die verschiedenen, vom Unterlagenschutz umfassten und aufeinander aufbauenden, Schutzmöglichkeiten spricht man von der 8+2+1-Regelung.
Marktexklusivität als Sonderschutz von Orphan Drugs
Für Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen wurde mit der Orphan Drug-VO, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2019/1243, eine spezifische Regelung erlassen. Dazu zählt u.a. die durch Art. 8 Abs. 1 Orphan Drug-VO vermittelte Marktexklusivität, die neben den patentrechtlichen Sonderregelungen sowie dem Unterlagenschutz, einen weiteren pharmaspezifischen Sonderschutz darstellt.
Marktexklusivität mit verwaltungsrechtlicher Wirkung
Sobald ein Arzneimittel für die Behandlung eines seltenen Leidens zugelassen ist, genießt es gemäß Art. 8 Abs. 1 Orphan-Drug-VO ab dem Zeitpunkt der Zulassung eine 10-jährige Marktexklusivität. Nach dem Wortlaut der Vorschrift werden nach Zulassung des betreffenden Arzneimittels
„[…] die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten während der nächsten zehn Jahre weder einen anderen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines ähnlichen Arzneimittels für dasselbe therapeutische Anwendungsgebiet annehmen noch eine entsprechende Genehmigung erteilen noch einem Antrag auf Erweiterung einer bestehenden Genehmigung stattgeben.“
Die Marktexklusivität verpflichtet die Zulassungsbehörden, keine Zulassungsanträge von Dritten anzunehmen, wenn Gegenstand des Zulassungsantrags ein zu einem bereits zugelassenen Arzneimittel ähnliches Arzneimittel für dieselbe Indikation ist. Ein Arzneimittel ist regelmäßig dann „ähnlich“, wenn es denselben Wirkstoff wie das bereits zugelassene Präparat enthält. Weitere Voraussetzung ist, dass die Zulassung für dieselbe Indikation beantragt wird. Sobald ein Unternehmen die Zulassung für ein Arzneimittel mit demselben Wirkstoff für anderes Anwendungsgebiet beantragt, steht die Marktexklusivität der Zulassung folglich nicht entgegen.
Adressaten der Norm sind, nach bisherigem Verständnis, ausschließlich die europäischen und nationalen Zulassungsbehörden. Im Falle einer gerichtlichen Durchsetzung der Marktexklusivität gegenüber den Zulassungsbehörden durch den Zulassungsinhaber wären somit entweder das Europäische Gericht oder die nationalen Verwaltungsgerichte zuständig. Gegenstand des Verfahrens wäre die (verwaltungsrechtliche) Anfechtung der Zulassung des neuen Arzneimittels.
Orphan Drugs: Anspruch auf Marktexklusivität auch gegenüber Dritten?
Im Rahmen einer vor dem Landgericht München I (Az.: 21 O 100225/23) geführten Auseinandersetzung hat sich jetzt eine neue Tendenz zur rechtlichen Ausprägung der Marktexklusivität in Form eines Marktexklusivitätsrechts angedeutet.
Hintergrund
Das Landgericht München I hatte im zivilrechtlichen einstweiligen Verfügungsverfahren das Marktexklusivitätsrecht als absolutes Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB beurteilt und daraufhin, auf der Grundlage des Marktexklusivitätsrechts aus der Orphan Drug-VO, eine (zivilrechtliche) Unterlassungsverfügung gegen die Antragsgegnerin erlassen. Die einstweilige Verfügung wurde später vom Oberlandesgericht München (OLG München, 01.02.2024 – 6 U 3303/23e, Eculizumab) aufgehoben. Die Aufhebung begründete das Oberlandesgericht damit, dass das Marktexklusivitätsrecht kein absolutes Recht darstellt, sondern lediglich ein behördliches Bearbeitungs- und Zulassungsverbot.
Im nun anhängigen Hauptsacheverfahren hat das Landgericht die Frage nach der zivilrechtlichen Einordnung der Marktexklusivität dem EuGH vorgelegt.
Rechtliche Besonderheiten
Gegenstand des Verfahrens war ein auch aus dem Bereich der Verwendungspatente bekanntes Thema: Der ursprünglich mehrere Anwendungsgebiete (auch Indikationen genannt) umfassende Schutz eines Wirkstoffs läuft für einzelne Indikationen aus. Für diese Indikationen können nun von anderen pharmazeutischen Unternehmen Marktzulassungen für die Verwendung des Wirkstoffs für das frei gewordene Anwendungsgebiet beantragt werden. Die noch bestehende Marktexklusivität der Orphan Drug-VO für die übrigen Indikationen kann diesen Zulassungsanträgen nicht entgegengehalten werden.
Die auf die frei gewordenen Indikationen beschränkten, neu zugelassenen Arzneimittel werden regelmäßig deutlich günstiger angeboten als die Originalpräparate. Da die neu zugelassenen Arzneimittel den gleichen Wirkstoff wie das Originalpräparat besitzen, eignen sie sich daher grundsätzlich auch für die Behandlung von Anwendungsgebieten, für die aufgrund einer noch bestehenden Marktexklusivität noch keine Zulassung beantragt werden kann. Aufgrund des identischen Wirkstoffs besteht folglich ein hohes Risiko, dass die beschränkt zugelassenen günstigen Präparate auch zur Behandlung von noch geschützten Anwendungsgebieten abgegeben werden (sog. cross-/ off-label use).
Anlass für das streitige Verfahren waren Rundschreiben der Beklagten, die die Eignung ihres Arzneimittels für die Verwendung in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten nahelegten. Für diese Anwendungsgebiete bestand noch eine Marktexklusivität zugunsten der Klägerin. Die Beklagte versendete diese Rundschreiben im Rahmen der Produkteinführung ihres Arzneimittels, welches in der Lauer-Taxe mit ca. 5% Preisdifferenz zum Präparat der Klägerin und damit günstiger gelistet war.
Marktexklusivität: Auch zivilrechtlicher Anspruch?
Im Vorlagebeschluss an den EuGH zeigt das Landgericht München I die verschiedenen Positionen zur rechtlichen Einordnung der Marktexklusivität umfassend auf.
Trotz der ausführlich dargestellten Gegenpositionen sprechen aus Sicht des Landgerichts Gründe dafür, dass mit Blick auf die Gesamtzielrichtung der Orphan Drug-VO über die in Art. 8 statuierte Marktexklusivität hinaus eine zivilrechtliche Rechtsposition in Form eines Marktexklusivitätsrechts vermittelt wird, welche der Inhaber gegen einen rechtswidrigen Eingriff Dritter geltend machen kann.
Zur Begründung stellt die Kammer insbesondere auf die in Erwägungsrund 8 der Orphan Drug-VO genannte Anreizwirkung für Investitionen ab. Um diesen Investitionsschutz gegen Umgehungen abzusichern, sollte, vor dem Hintergrund eines effektiven Rechtsschutzes (effet utile) sowie dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Art. 47 GRCh), das Marktexklusivitätsrecht auch gegen Dritte – und eben nicht nur rein zulassungsrechtlich gegen die Zulassungsbehörden – geltend gemacht werden können.
Fazit
Im Bereich der Arzneimittel besteht ein ausdifferenziertes Schutzsystem, das den besonderen Anforderungen der pharmazeutischen Industrie Rechnung trägt. Der vor dem Landgericht München I verhandelte Fall zeigt jedoch, dass dieses Schutzgeflecht noch Lücken aufweist, insbesondere mit Blick auf den „Cross-Use“ bzw. „Off-Label-Use“, bei dem das bestehende Schutzniveau nicht ausreicht, um die Interessen der forschenden Unternehmen wirksam zu sichern.
Es bleibt abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof die Marktexklusivität rechtlich einordnet: Handelt es sich um ein rein verwaltungsrechtliches Instrument, das lediglich die Zulassungsbehörden verpflichtet, oder gewährt es dem Inhaber auch einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gegenüber anderen Marktteilnehmern? Diese Frage ist sowohl wirtschaftlich bedeutsam als auch rechtlich komplex. Eine Entscheidung im Sinne einer zivilrechtlichen Wirkung würde den Investitionsanreiz im Bereich der seltenen Erkrankungen erheblich stärken und schlussendlich dem Patientenwohl dienen.