Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde („ESMA“) konsultiert seit dem 27. Januar 2022 eine überarbeitete Version ihrer Leitlinien zu einigen Aspekten der MiFID II-Anforderungen an die Eignung. Damit trägt sie den Änderungen der delegierten Verordnung (EU) Nr. 2017/565 zu MiFID II („DelVO“) Rechnung. Mit der Änderungsverordnung (EU) 2021/1253 wurden im April 2021 unter anderem die Pflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen in die DelVO aufgenommen,

  • Nachhaltigkeitsrisiken in ihren organisatorischen Strukturen und im Risikomanagement zu berücksichtigen;
  • Nachhaltigkeitspräferenzen im Rahmen ihrer Feststellungen zu Interessenkonflikten Rechnung zu tragen; und
  • insbesondere bei Erbringung der Anlageberatung oder Portfolioverwaltung die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kundinnen und Kunden zu ermitteln.

Die neuen Anforderungen der DelVO sind ab dem 02. August 2022 verpflichtend umzusetzen. Die Konsultation zur diesbezüglichen Änderung der Leitlinien der ESMA endet am 27. April 2022.

Was beinhalten die Leitlinien?

Mit den zuletzt 2018 aktualisierten Leitlinien bietet die ESMA Erläuterungen zu bestimmten Aspekten der Anforderungen an die Eignung, um eine einheitliche Anwendung sowie eine konsistente Aufsichtspraxis zu gewährleisten. Darüber hinaus hat die ESMA zahlreiche Einzelaspekte ad-hoc in ihren Questions and Answers (Dokument ESMA 35-43-349) behandelt, zuletzt aktualisiert im November 2021. Mit der neuen Konsultation stellt die ESMA die von ihr geplanten Vorgaben für die Erfassung von Informationen zu Nachhaltigkeitspräferenzen, deren Bewertung und organisatorische Anforderungen innerhalb der Wertpapierfirmen vor.

Was bedeuten Nachhaltigkeitspräferenzen im Sinne der geänderten DelVO?

Bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen der Anlageberatung und Portfolioverwaltung müssen verpflichtend die Nachhaltigkeitspräferenzen (potenzieller) Kunden ermittelt werden.

Nachhaltigkeitspräferenzen bedeutet dabei die Entscheidung eines (potenziellen) Kunden darüber ob und – wenn ja – inwieweit eines der folgenden Finanzinstrumente in seine Anlage einbezogen werden soll (Art. 2 Nr. 7 DelVO). Die folgenden Kategorien werden hierbei unterschieden:

  •  Kategorie a): ein Finanzinstrument, bei dem der (potenzielle) Kunde bestimmt, dass ein Mindestanteil in ökologisch nachhaltige Investitionen im Sinne der Taxonomieverordnung (Art. 2 Nr. 1) angelegt werden soll;
  • Kategorie b): ein Finanzinstrument, bei dem der (potenzielle) Kunde bestimmt, dass ein Mindestanteil in nachhaltige Investitionen im Sinne der Offenlegungsverordnung (Art. 2 Nr. 17) angelegt werden soll; oder
  • Kategorie c): ein Finanzinstrument, bei dem die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren („PAI“) berücksichtigt werden, wobei die qualitativen oder quantitativen Elemente, mit denen diese Berücksichtigung nachgewiesen wird, vom (potenziellen) Kunden bestimmt werden. 

Als Konsequenz aus den definierten Nachhaltigkeitspräferenzen fallen „Artikel 9 Produkte“ im Sinne der Offenlegungsverordnung mindestens unter Kategorie b, denn sie verfolgen im Ganzen eine nachhaltige Investition. Produkte i.S.d. Art. 8 Offenlegungsverordnung hingegen kommen nur dann in Frage, wenn sie entweder einen festgelegten Mindestanteil an nachhaltigen Investitionen i.S.d. Art. 2 Nr. 17 Offenlegungsverordnung oder einen festgelegten Mindestanteil an ökologisch nachhaltigen Investitionen im Sinne der Taxonomieverordnung enthalten oder aber die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigen. Ein „Artikel 8 Produkt“, das diese Merkmale nicht erfüllt, ist nicht ausreichend.

Ein Finanzinstrument im Sinne der Kategorie a liegt nur dann vor, wenn (für den betreffenden Mindestanteil) sämtliche Anforderungen der Taxonomieverordnung eingehalten werden. Hierzu muss ein wesentlicher Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer der sechs festgelegten Umweltziele geleistet werden, ohne dass ein anderes dieser Ziele erheblich beeinträchtigt wird. Die genauen Anforderungen hierfür werden in den technischen Bewertungskriterien der Europäischen Kommission festgelegt. Weiterhin muss ein sozialer Mindestschutz eingehalten werden.

Wie sollen Verpflichtete bei der Kundenexploration vorgehen?

Die ESMA sieht eine erhebliche Ausweitung der Explorationspflichten vor. Bestehende Fragebögen zur Eignungsbeurteilung müssten erheblich ergänzt werden.
Dabei trifft den Dienstleister im ersten Schritt die Pflicht, auf verständliche Weise das Konzept Nachhaltigkeit / Nachhaltigkeitspräferenzen und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ausprägungsmöglichkeiten (s. obengenannte Kategorien a bis c) sowie die Unterschiede zu Produkten ohne nachhaltige Eigenschaften zu erläutern.

Im Kern sollen dann die folgenden Informationen eingeholt werden:

  1. ob der Kunde überhaupt Nachhaltigkeitspräferenzen hat (Ja/Nein);
  2. in welchem Umfang und bezogen auf welche Kriterien der Kunde Nachhaltigkeitspräferenzen im Sinne der geänderten DelVO hat;
  3. wie hoch der gewünschte Mindestanteil an Anlagen ist, die den Nachhaltigkeitspräferenzen entsprechen, differenziert nach den obengenannten Kategorien a und b beziehungsweise für Kategorie c die Art der nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen; und
  4. ob ein Schwerpunkt auf ökologische, soziale oder auf Governance-Aspekte gelegt werden soll.

Wenn ein Kunde die Frage nach Nachhaltigkeitspräferenzen unbeantwortet lässt oder mit Nein beantwortet, soll dieser als „sustainability-neutral“ eingestuft werden. Diesen Kunden können sowohl Produkte mit nachhaltigen Merkmalen als auch ohne diese empfohlen werden.

Auch müssen Nachhaltigkeitspräferenzen im Rahmen der Portfolioverwaltung auf Portfolioebene, nicht auf Produktebene, eingehalten werden; jedoch stellt die ESMA auch bei einem portfoliobasierten Ansatz hohe Anforderungen an die Ermittlung der Kundenpräferenzen, vor allem bei Modellportfolien.

Wichtig ist, dass die Nachhaltigkeitspräferenzen der grundlegenden Geeignetheitsprüfung eines Finanzinstruments nachgeschaltet sind, d.h. die Prüfung der Nachhaltigkeitspräferenzen ist erst dann relevant, wenn der Dienstleister sichergestellt hat, dass das entsprechende Finanzinstrument grundsätzlich für den Kunden geeignet ist. Im Gegensatz zur Geeignetheit ermöglichen die ESMA Leitlinien einen gewissen Spielraum für Dienstleister. Ergibt eine Prüfung auf dieser zweiten Stufe, dass keine Produkte mit entsprechenden Nachhaltigkeitspräferenzen angeboten werden können, kann dennoch ein Produkt angeboten werden, das die Nachhaltigkeitspräferenzen nicht erfüllt. Voraussetzung ist jedoch eine entsprechende Aufklärung und die Anpassung der Nachhaltigkeitspräferenzen durch den Kunden.

Um die notwendige Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorzuhalten, sollen Wertpapierfirmen außerdem geeignete Schulungen anbieten, die auch eine weitgehend untechnische Erläuterung der Nachhaltigkeitspräferenzen ermöglichen.

Wichtig ist der ESMA neben der erforderlichen Granularität der Informationen auch die notwendige Neutralität der Darstellung durch den Dienstleister.

Welche neuen Vorgaben ergeben sich im Product Governance Prozess?

ESMA betont verstärkt die Pflicht der Dienstleister, die Merkmale der angebotenen Finanzinstrumente und deren Komplexität zu verstehen. Konsequenterweise fordert die ESMA daher eine Bewertung des Finanzinstruments hinsichtlich

  1. des Anteils an Wirtschaftstätigkeiten, die als ökologisch nachhaltig angesehen werden können;
  2. des Anteils an nachhaltigen Investitionen (i.S.d. Art. 2 Abs. 17 SFDR); und
  3. der Berücksichtigung von PAI (nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren).

In diesem Zusammenhang hat die ESMA ebenfalls angekündigt, in einer separaten Konsultation ihre Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II anzupassen, um auch die geänderten Vorgaben zur Zielmarktbestimmung im Hinblick auf nachhaltigkeitsbezogene Ziele und Nachhaltigkeitsfaktoren widerzuspiegeln.

Anmerkungen zu den Vorgaben der ESMA

Das Ziel, durch Kundenaufklärung unfairen Wettbewerb durch Greenwashing zu vermeiden, wurde bereits in der Präambel zur Änderungsverordnung (EU) 2021/1253 betont. Allerdings steht den hohen Anforderungen an die Beratung und Aufklärung nach der DelVO, die ab Anfang August 2022 erfüllt werden müssen, nach wie vor eine unvollständige Regulierung zu den nachhaltigen Produkten selbst entgegen. So sind etwa die detaillierten Level II Verpflichtungen für nachhaltige Finanzprodukte der Offenlegungsverordnung voraussichtlich erst ab dem 01. Januar 2023 anwendbar. Bis dahin dürfen Verpflichtete sich auf prinzipienbasierte Offenlegungen beschränken. Es fehlen daher unter Umständen wichtige Daten als Grundlage für eine Eignungsbeurteilung. Auch das notwendige Pendant der Zielmarktbestimmung auf Produktherstellerseite, welche anhand von Nachhaltigkeitsfaktoren und nachhaltigkeitsbezogenen Zielen erfolgen soll, wird erst nach Erlass der entsprechenden Vorschriften auf Ebene der Mitgliedstaaten ab dem 22. November 2022 anwendbar.

Insgesamt können die Vorgaben zur Eignungsbeurteilung daher zwar als sinnvoller Schritt angesehen werden, dem Greenwashing entgegenzutreten, jedoch werden sie die verpflichteten Unternehmen unter anderem mit Blick auf die zeitlich nicht sauber abgestimmten weiteren Vorgaben vor Herausforderungen stellen.

Wie geht es weiter?

Nach erfolgter Konsultation sollen die finalen Leitlinien in Q3/2022 veröffentlicht werden. Die ESMA erwartet, dass die Kundenexplorationen im Rahmen des nächsten regulären Updates oder ersten Kundentermins nach Inkrafttreten der Änderungen zur DelVO (d.h. nach dem 02. August 2022) überarbeitet und an die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden angepasst werden.



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