Einleitung
Bereits in der vergangenen Woche wies Justizministerin Christine Lambrecht in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Unternehmenskriminalität hin und kündigte insbesondere eine Erhöhung möglicher Unternehmensgeldbußen an.
Wie im Vertrag zur großen Koalition angekündigt, liegt nun ein noch in der Ressortabstimmung befindlicher Entwurf eines solchen Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz, „VerSanG“) vor. Neben der Möglichkeit zur Verhängung höherer Geldbußen, enthält der Entwurf insbesondere die Abkehr vom reinen Opportunitätsprinzip bei der Verfolgung von Unternehmenskriminalität. Er schafft Anreize für die Durchführung von internen Untersuchungen sowie zur Förderung von Compliance-Maßnahmen. Allerdings ist der Entwurf an vielen Stellen, insbesondere im Bereich der Strafzumessung, sehr vage gehalten. Falls der weitere Gesetzgebungsprozess keine Abhilfe schafft, ist daher zu befürchten, dass eine Vielzahl von auslegungsbedürftigen Fragen offen bleiben wird, die dann durch die Gerichte zu klären sein werden.
Höhere Sanktionen für Unternehmen
Adressaten des neuen Gesetzes sind die sogenannten Verbände, also insbesondere Unternehmen der Privatwirtschaft. Die Verbände können Straftaten entweder durch ihre Leitungspersonen begehen oder durch eine sonstige Person, die in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes eine Verbandsstraftat begangen hat, sofern Leitungspersonen die Straftat durch angemessene Compliance-Maßnahmen hätten vermeiden können (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VerSanG). Der Personenkreis der Leitungspersonen ist in § 2 Abs. 1 Nr. 2 a – e VerSanG definiert. Inhaltlich deckt er sich mit dem in § 30 Abs. 1 Nr. 1 - 5 Ordnungswidrigkeitengesetzes („OWiG“) aufgeführten Personenkreis. Eine Verbandsstraftrat liegt dann vor, wenn Pflichten, die den Verband treffen, oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte, verletzt worden sind ( § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG).
§ 8 VerSanG sieht folgende Sanktionsmöglichkeiten gegen Unternehmen vor:
- die Verbandsgeldsanktion,
- die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt und
- die Verbandsauflösung.
Wie auch in den derzeitigen Regelungen des OWiG vorgesehen, soll die Verbandsgeldsanktion auch nach neuem VerSanG bei einer vorsätzlichen Tat bis zu zehn Millionen Euro und bei einer fahrlässigen Tat bis zu fünf Millionen Euro (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VerSanG) betragen können. Handelt es sich bei dem Verband um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Millionen, kann die Sanktion bei einer vorsätzlichen Tat bis zu 10% bzw. bei einer fahrlässigen Tat bis zu 5% des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VerSanG). Wie bereits von Justizministerin Christine Lambrecht angemerkt, könnte die Höhe der möglichen Sanktionen für große Konzerne damit zweistellige Milliardenbeträge erreichen.
Neben der Verbandsgeldsanktion besteht unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit der Anordnung der Auflösung des Verbandes (§ 14 VerSanG) oder die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes ( § 15 VerSanG).
Abkehr vom Opportunitätsprinzip
Bislang ist die Verbands- bzw. Unternehmensgeldbuße im OWiG geregelt. Dies führt dazu, dass die Entscheidung über die Verfolgung der Tat bzw. über die Verhängung einer Geldbuße nach § 47 OWiG im Ermessen der Verfolgungsbehörden liegt (sog. „Opportunitätsprinzip“).
Von diesem Grundsatz soll nunmehr Abstand genommen werden, indem in § 25 Abs. 1 VerSanG auf die allgemeinen Vorschriften und Gesetze über das Strafverfahren, insbesondere auf die Strafprozessordnung, verwiesen wird. In dieser ist vorgesehen, dass bei allen verfolgbaren Taten verpflichtend einzuschreiten ist.
Förderung von Compliance-Maßnahmen
Auch wenn die möglichen Sanktionen nach dem neuen VerSanG deutlich höher ausfallen könnten als bisher, enthalten die neuen Regelungen auch Bestimmungen, die betroffene Unternehmen entlasten können.
So sieht § 10 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG vor, dass eine Verwarnung des Verbandes ausreichend ist, wenn zu erwarten ist, dass der Verband zukünftig Verbandsstraftraten vermeiden wird. Dies soll nach der vorliegenden Begründung des Entwurfes dann der Fall sein, wenn es sich bei dem Vorfall um einen „Ausreißer“ gehandelt hat, aber der Verband ansonsten schon Vorkehrungen trifft oder getroffen hat, um vergleichbare Vorfälle zu vermeiden. Das Gericht soll die Verhängung einer Sanktion zudem von der Erfüllung von Auflagen und Weisungen abhängig machen können (§ 10 Abs. 4 VerSanG). Hierbei kommt insbesondere die Wiedergutmachung des verursachten Schadens (§ 12 Abs. 2 VerSanG) in Betracht. Vor allem soll das Gericht die Möglichkeit haben, den betroffenen Verband anzuweisen, bestimmte Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandsstraftaten zu treffen (§ 13 Abs. 1 und 2 VerSanG). Letztlich bedeutet dies, dass Unternehmen zur Implementierung wirksamer Compliance-Maßnahmen verpflichtet werden und sie hierdurch die Verhängung von Verbandssanktionen verhindern können. Diese Vorkehrungen sind durch eine sachkundige Stelle (bspw. Rechtsanwälte) zu bescheinigen. Das Gericht entscheidet, wie häufig und gegebenenfalls in welchen Abständen durch die sachkundige Stelle Berichte vorzulegen sind. Die Auswahl der sachkundigen Stelle kann der Verband treffen, ist jedoch durch das Gericht zu bestätigen.
Die Milderung einer zu verhängenden Verbandssanktion soll dann erfolgen können, wenn der Verband selbst oder durch Dritte eine interne Untersuchung durchgeführt hat und kooperativ mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeitet (§ 18 Abs. 1 VerSanG).
Durchführung von internen Untersuchungen
Mit dem VerSanG wird der bislang fehlende Rahmen für unternehmensinterne Untersuchungen sowie ein Anreizsystem zu deren Durchführung geschaffen. Voraussetzung für eine mögliche Sanktionsmilderung soll sein, dass der Verband wesentlich zur Aufklärung der Verbandsstraftat beiträgt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG), umfassend mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeitet (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG) und diesen alle wesentlichen internen Untersuchungsergebnisse zur Verfügung stellt (§ 18 Abs. 1 Nr. 4 VerSanG). Des Weiteren muss die interne Untersuchung unter Beachtung eines fairen Verfahrens und in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt werden (§ 18 Abs. 1 Nr. 5 und 6 VerSanG). Das beinhaltet u.a., dass Mitarbeiter vor ihrer Befragung darauf hingewiesen werden sollen, „dass ihre Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können“ (§ 18 Abs. 1 Nr. 5a) VerSanG), sie das Recht auf einen Beistand bei ihrer Befragung haben (§ 18 Abs. 1 Nr. 5b) VerSanG) und zukünftig auch das Recht haben sollen, die Aussage zu verweigern, falls sie sich dadurch selbst gefährden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (§ 18 Abs. 1 Nr. 5c) VerSanG).
Der Entwurf sieht auch vor, dass die Verfolgungsbehörden im Falle von verbandsinternen Untersuchungen bis zum Abschluss der verbandsinternen Untersuchung von der Verfolgung des Verbandes absehen können (§ 42 VerSanG), ohne dass hierauf allerdings ein Anspruch des Verbandes bestehen soll.
Fazit
Das neue VerSanG kann im Vergleich zur bisherigen Rechtslage zu deutlich empfindlicheren Sanktionen gegen Unternehmen führen als es die bisherigen ordnungswidrigkeitenrechtlichen Regelungen vorsahen. Auch wenn die finale Fassung des Gesetzes noch nicht verabschiedet ist, scheint die Stoßrichtung klar: Staatsanwaltschaften und Gerichte können Unternehmen zukünftig deutlich stärker zur Kasse bitten, wenn es den Unternehmen ihrerseits nicht gelingt, durch den Auf- und Ausbau von effektiven Compliance-Systemen sowie durch die Durchführung von internen Untersuchungen, Argumente für strafmildernde Faktoren zu finden. Unternehmen sind daher gut beraten, sich bereits jetzt mit den neuen Gegebenheiten auseinanderzusetzen und noch mehr als bisher einen Fokus auf ein gut funktionierendes Compliance-System zu legen.