Interview mit Kenneth L. Stewart

Publikation Februar 2016

Seit Mai 2015 ist Ken Stewart, Partner in Dallas und Houston, Global Chair von Norton Rose Fulbright. Er wurde 1979 in Texas als Rechtsanwalt zugelassen und ist der erste US-Partner, der bisher die Rolle des Global Chair übernommen hat. Wir freuen uns auf spannende Einblicke.

Welche sind Ihrer Meinung nach die aktuellen Herausforderungen für Kanzleien?

Wir leben in einer Zeit, in der unser Beruf einschneidende Veränderungen erlebt. Die Digitalisierung von Inhalten, Kommunikation und Information wirkt sich mittlerweile auch auf die Rechtsbranche aus. Dazu gehört zum Beispiel die Möglichkeit, riesige Datenmengen auf Knopfdruck zu sichten oder die Diskussion über die automatisierte Erstellung von Dokumententwürfen. In anderen Branchen gibt es solche Veränderungen schon sehr viel länger, doch die Rechtsbranche war in diesem Zusammenhang schon immer eher langsam: Rechtsanwälte mögen generell keine Veränderung. Aber wenn wir uns darauf einlassen, sind wir ziemlich gut darin. Ich glaube es ist für uns an der Zeit zu lernen, diesen ständigen Wandel zu unserem Vorteil zu nutzen.

Die Musikindustrie ist ein gutes Beispiel dafür, wie es funktionieren kann. Im Laufe der Jahre gab es hier viele Veränderungen: von Schallplatten über Audiokassetten und CDs bis hin zu den jetzigen digitalen Formaten, die auf winzigen Mobilgeräten abgespielt werden können. Durch die Digitalisierung musste die Musikindustrie ihre Geschäftsmodelle ändern. Die Möglichkeit, Inhalte einfach zu kopieren stellte die Verlage vor große Herausforderungen, über die sie nicht glücklich waren – aber das änderte nichts an den Tatsachen. Also war die Branche letztendlich bereit, die Veränderungen zu akzeptieren und neue Geschäftsmodelle darauf aufzubauen.

Und genau das wird auch von der Rechtsbranche erwartet. Die Welt ist globaler und digitaler geworden. Unsere Mandanten haben andere Erwartungen als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Wir sollen effizienter und gleichzeitig kostengünstiger arbeiten. Und wir sollen ihr Geschäft und ihre Branche immer besser kennen und wissen, welche Entwicklungen sich auf sie auswirken könnten. Mit der globalen Präsenz von Norton Rose Fulbright sind wir in diesen Punkten auf jeden Fall konkurrenzfähig. Doch der ständige Wandel wird auch in Zukunft immer mehr von uns fordern.

Welche Erkenntnisse aus Ihrer Zeit als Global Chair können Sie mit uns teilen?

Durch Gespräche mit meinen Partnern weltweit hat sich für mich in dieser Zeit vor allem die Bedeutung und Aktualität von zwei Themen bestätigt. Erstens: Eine enge Zusammenarbeit innerhalb der Kanzlei ist wichtig. Nur so können wir Mandanten das bieten, was sie von uns erwarten. Wir müssen über verschiedene Rechtsgebiete, Kulturen und Landesgrenzen hinweg zusammenarbeiten, damit unsere Mandanten wirklich von der gesamten Bandbreite unserer Kenntnisse profitieren können. Das ist der Schlüssel dazu, auch in der heutigen Zeit wettbewerbsfähig zu bleiben.

Zweitens ist es unerlässlich, dass wir proaktiv sind – im täglichen Geschäft und bei unseren Mandanten. Uns ist allen bewusst, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man Aufträge erhielt, weil man am Schreibtisch saß und darauf wartete bis das Telefon klingelte. Wir müssen rausgehen und potentiellen Mandanten erzählen, warum sie uns beauftragen sollen. Und nach der erfolgreichen Akquise ist es wichtig, nicht nur Lösungen für Fragestellungen zu entwickeln, die unsere Mandanten an uns herantragen – sondern auch für solche, die ihnen noch gar nicht bewusst sind. Durch unsere fundierte Branchenkenntnis sind wir der Partner, der unseren Mandanten hilft, zukünftige Herausforderungen abzusehen und sich darauf vorzubereiten. So werden Probleme zu Gelegenheiten. Andere Dienstleister wie beispielsweise Unternehmensberatungen haben mit diesem Ansatz äußerst erfolgreiche globale Unternehmen aufgebaut. Gemeinsam haben wir alles, was wir brauchen, um das in die Tat umzusetzen: die Expertise, die Erfahrung und die Ressourcen. Und das bringt mich zurück zu meinem ersten Punkt: Zusammenarbeit ist der Schlüssel.

Was war für Sie die größte Überraschung in Ihrer bisherigen Zeit als Global Chair?

Natürlich kann ich nicht behaupten, alles gesehen zu haben, was es zu sehen gibt, aber ich habe in den letzten 62 Jahren doch genug erlebt, um zu sagen, dass mich nicht mehr allzu viel überrascht. Trotzdem begegne ich täglich Dingen, die ich noch nicht wusste – man lernt ja nie aus. Und das vergangene Jahr als Global Chair hat mir bisher vor allem in Bezug auf Asien einige neue Erkenntnisse gebracht.

Asien ist ein Teil der Welt, den ich nicht besonders gut kenne. Obwohl ich in den letzten 35 Jahren auch viel international tätig war, ging es dabei größtenteils um Mandate in Europa oder dem Nahen Osten. Meine Berührungspunkte mit dem pazifischen Raum beschränkten sich meist auf die Beratung asiatischer Firmen bei ihren Geschäften in den USA. Das vermittelt natürlich keinen so großen Einblick in die internen Geschäftsabläufe oder gar den Rechtsmarkt in Asien. Vor kurzem habe ich nun unsere Mandanten und Büros in Asien besucht und war für längere Zeit dort unterwegs. Und obwohl ich dabei nur einen vergleichsweise flüchtigen Eindruck dieses riesigen Gebietes mit so vielen unterschiedlichen Kulturen gewinnen konnte, habe ich doch sehr wertvolle Einblicke mit nach Hause genommen. Einblicke, die mich bei der Beratung unserer westlichen Anwälte unterstützen werden, wenn sie mit asiatischen Mandanten oder Mandaten zu tun haben.

Ich hatte in Asien das Privileg, viele Diskussionen mit Menschen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen zu führen, geschäftlich und privat. Was mir besonders auffiel, war der tief verwurzelte Unternehmergeist in allen Teilen der Gesellschaft – insbesondere auf dem chinesischen Festland. Ich habe daraus mitgenommen, dass es in China 1,3 Milliarden Unternehmer gibt – und wenn dieser Unternehmergeist jemals ganz entfesselt wird, wird es die Welt mit einem wirtschaftlichen Schwergewicht zu tun haben. Genau das hatte ich zwar auch bereits jahrelang von Wirtschaftsexperten immer wieder gehört, aber vor Ort war dieses Gefühl wirklich greifbar – das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Ob und wann dieses Schwergewicht wirklich entfesselt wird, ist unmöglich vorherzusagen. Die weitere Entwicklung birgt in jedem Fall große Chancen für westliche Unternehmen – auch für uns, aber auch große Herausforderungen.

Zum Abschluss noch ein kurzer Blick in die Glaskugel: Was kommt als nächstes auf den Rechtsmarkt zu?

Ich glaube, der globale Rechtsmarkt wird im Lauf der nächsten fünf Jahre signifikante Veränderungen erleben – dazu gehören digitale Innovationen, neue Marktteilnehmer und steigender Kostendruck. Die Kanzleien haben gerade erst angefangen, sich an diese neuen Marktgegebenheiten anzupassen. Unser Ziel als globale Wirtschaftskanzlei ist es, diese Entwicklung mit Hilfe unserer Project 2020-Strategie aktiv zu gestalten. In die Formulierung dieser internen Strategie sind zum einen umfangreiche Recherchen bezüglich der zukünftigen Erwartungen und Bedürfnisse unserer Mandanten eingeflossen und zum anderen natürlich unsere Vorstellungen davon, wie effektives Arbeiten im Rechtsbereich aussehen kann. Ohne zu viel zu verraten kann ich sagen: Unser Project 2020 beinhaltet ein anspruchsvolles und spannendes Programm, das die Einführung neuer Prozesse und Methoden beinhaltet und Einfluss auf alle unsere Geschäftsbereiche und Mitarbeiter haben wird.



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